Ein Jahr in Lissabon
versinkt.
• Ich wage es endlich, Nadador Salvador zu fragen, warum man in Lissabons Schwimmbädern keinen Bikini tragen darf.Zwei Gründe nennt er mir: weil Bikinis oft am Strand benutzt werden und deshalb Sand mit ins Schwimmbad bringen könnten. Und weil Bikinis so leicht verrutschen. Mein skeptisches Gesicht kommentierend, meint er noch: „Das glauben Sie nicht? Mas é mesmo assím!“ Es ist so.
• Ich gehe mit Tiago ein letztes Mal auf ein Abendessen zum illegalen Chinesen – einem kleinen Häuschen, tief versteckt in der Mouraria, an dem kein Schild darauf verweist, dass sich hinter den Wänden ein Restaurant verbirgt. Denn das Lokal hat keine Lizenz und muss deshalb inkognito bleiben. Und obwohl es „clandestino“, also verboten, ist, weiß die halbe Stadt davon und geht dort essen. Das Heimliche schmeckt eben noch eine Prise besser als das Erlaubte.
• Und: ich nehme all meinen Mut zusammen, um einen Fado beim Fado Vadio in der kleinen Taverne in der Rua da Graça zu singen. Ich übe tagelang einen meiner Lieblings-Fados, beginnend auf dem Ton a. „Meu amor é marinheiro e mora no alto mar. Seus braços são como o vento. Ninguém os pode amarrar. – Meine Liebe ist Seemann und wohnt auf dem hohen Meer. Seine Umarmungen sind wie der Wind und niemand kann sie festbinden.“ Ich ziehe das neue schwarze Kleid an, gehe ins Café, bestelle mir ein Bier. Und kurz bevor ich dem Gitarristen ein Zeichen geben will, lasse ich es doch bleiben. Man muss sich und den anderen ja nicht jeden Wunsch erfüllen.
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Ich unternehme und unternehme und unternehme. Ich stopfe die Zeit voll, in der Hoffnung, dass sie sich dehnt und länger wird.
Doch die Zeit lässt sich weder dehnen noch anhalten – nicht einmal in einer Stadt, in der sie manchmal stehengeblieben scheint. Deshalb beginne ich schließlich, meine Koffer zu packen, während Bob Marley alias Amália Rodrigues machãonzend auf meinem Bett thront und mir dabei zuschaut. Ich mache mein grünes Sommerkleid, meinen blau-weiß gestreiften Bikini – und all die Dinge, die während der vergangenen zwölf Monate dazugekommen sind – wieder reisefertig.
Ich putze mein kleines Zimmerchen, in dem ich fast 365 Tage lang gewohnt habe. Und zum Schluss bereite ich meine Abschiedsfeier vor und lade all meine Lissaboner Freunde in den Garten des Palastes ein, in dem ich gearbeitet habe. Ich kaufe ein paar Flaschen Vinho tinto, ein paar Flaschen Vinho branco und koche zusammen mit Marta einen riesigen Pott Caldo Verde – drei Mal müssen wir ihren Schnellkochtopf, ihren „panela de pressão“, dafür bemühen.
Ich hänge ein paar Lichterketten zwischen die beiden Ulmen und atme noch einmal tief die Friedlichkeit dieses Ortes ein. Und dann begrüße ich meine Gäste.
Es wird ein wunderschönes und zugleich trauriges Fest. Denn ich höre auch jetzt nicht auf zu weinen, während ich die Menschen betrachte, die mich ein Jahr lang durch mein portugiesisches Leben begleitet haben und die sich nun teilweise erstmals gegenseitig kennenlernen und miteinander verknüpfen – zu einem Lissaboner Universum, das ich schon morgen früh verlassen werde. Die Menschen, mit denen ich nun anstoßen will, auf eine schöne Vergangenheit und auf eine schöne Zukunft.
Portugiesen schenken gerne. Weil sie so gerne schenken – ihre Aufmerksamkeit, ihre Höflichkeit, ihre Zeit –, habe ich sie so in mein Herz geschlossen. Und dass sie auch nun, zu meinem Abschied, so gerne schenken, macht alles nur noch schwieriger. Tiago überreicht mir den schönstenSpickzettel der Welt: Alle portugiesischen Worte, die ich mir nie merken konnte, sind darauf verzeichnet, und statt der deutschen Übersetzung findet sich neben jeder Vokabel die passende, selbstgemalte Illustration. Rosa hat ein Foto von mir gemacht – wie ich im Lavadouro público stehe und sich mein Profil im Wasser der steinernen Becken spiegelt. Ricardo hat seine Gitarre mitgebracht und spielt für uns alle Fado und für mich einen besonderen. Joana wiederholt ihre Einladung nach Brasilien. O Senhor Silva schenkt mir José Saramagos „Portugiesische Reise“ im Original, und Victor – der sich auf Anhieb mit O Senhor Silva versteht und ganz hemmungslos dessen Redefluss mit „Caramba!“ unterbricht, wenn er selbst zu Wort kommen will –,Victor schenkt mir einen Fan-Schal von Sporting, auf dem „Até morrer“ steht, genauso wie auf seinem. Marta und Jorge drücken mir ein Buch mit den gesammelten Suppenrezepten Portugals
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