Ein Jahr in Lissabon
in die Hand. Beatriz und Bruno, Luisa und Hugo haben die Fotos von unserer kleinen Radtour zu einem Leporello geklebt. Teresa widmet mir einen der Schlüsselanhänger, die es hier in der Stadt allerorten zu kaufen gibt – mit einer Sardine aus Stoff daran. Inês und Pedro tanzen zum Fado von Ricardo einen Tango für mich. Und meine Kollegen haben als Souvenir eine zerbrochene Kachel aus dem Palast in Packpapier gewickelt.
Sogar mein Chef hat etwas für mich mitgebracht. Er schenkt mir, eingerahmt in Glas, die Kopie einer Schiffskarte aus dem Jahre 1920, eine Karte des Hafens von Lissabon. „Mein Urgroßvater hat sie gemacht, er war Kupferstecher. Im Original ist sie viel größer, du musst mit der Lupe schauen. Siehst du die Zahlen hier? Das sind die genauen Wassertiefen, denn dieser Kanal von Cascais bis Lisboa hat es in sich. Ohne genaue Karten hätte es gefährlich werden können für die Schiffer.“ Ich betrachte das vergilbtePapier und den feinen Stich: das Profil der Küste, die Zeichnung der Orte, die Biegung in die Stadt hinein. Und es wird ganz still in mir.
Ein Jahr ist es her, dass ich, mit nur zwei Brocken Portugiesisch im Gepäck, in See gestochen bin, ohne zu wissen, was mich erwarten wird. Wie eine Entdeckungsreisende fühlte ich mich damals. Ein Jahr lang habe ich fremdes Terrain erkundet und meine eigene Karte gezeichnet, die ich nun in meinem Inneren trage. Wie sieht sie aus? Kann ich sie überhaupt beschreiben? Sie ist hell und licht, verworren und verzweigt, kleinteilig und doch von einem großzügigen Panorama geprägt. Sie hat Hügel, Kirchen, lauschige Plätze, gepflasterte Gässchen, zerfallende Häuser, Paläste und einen Fluss. Auch ein kleines Schwimmbad und ein grün-gelbes Stadion sind auf ihr verzeichnet. Sie trägt einen Rand aus Orangenbäumen und unendlich viele fremde Wörter. Das Papier riecht nach Galão, Pastéis und frischen Erdbeeren – und wenn es raschelt, erklingt zugleich ein Fado. Ein paar dunkle lange Haare liegen auf der Karte, die ein Cabeleileiro mit einer großen Schere abgeschnitten hat. Und dazwischen spazieren Menschen herum, viele alte, aber auch viele junge. Menschen mit Schiebermützen und roten Nelken. Menschen, in deren Lächeln man die Zahnlücken und das Herz schlagen sieht. Menschen, die nicht drängeln, weil sie der Zeit den Vortritt lassen. Und wenn ich ganz genau hinschaue, sehe ich das Allerschönste an der Karte: ein paar weiße Flecken. Mir scheint, die Karte ist noch gar nicht vollständig. Mir scheint, all dies ist nur der Anfang gewesen. Der Anfang einer wunderbaren Entdeckung.
✽✽✽
Am nächsten Morgen, als Lissabon im Rahmen des Flugzeugfensters immer kleiner und kleiner wird, sind es nur zwei Gedanken, an denen ich mich festhalten kann: Ich habe fünf Pfund Kaffee im Gepäck. Und: Er beginnt schon nächste Woche, der Kurs, für den ich mich an der Volkshochschule angemeldet habe. Portugiesisch für Fortgeschrittene IV.
Schnelles Dicionário
für alle, die es sogar in Lissabon eilig haben
A wie Abreviatura. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, in Lissabon eine Abkürzung zu nehmen. Es könnte Sie Stunden kosten, weil Sie sich garantiert verlaufen werden und weil Sie dabei möglicherweise ein paar herrliche, unvorhergesehene Dinge entdecken, die Ihren ganzen Zeitplan durcheinanderbringen.
B wie Balcão. „Balcão“ bedeutet im Portugiesischen nicht Balkon, sondern Theke – und die Theke ist wie gemacht für Sie, weil Sie dort ganz schnell etwas zu sich nehmen können, ohne sich erst an einen Tisch setzen zu müssen. Die wunderhübschen schmiedeeisernen Balkönchen, die es an den alten Häusern vor jedem Fenster gibt und die Sie nicht wahrnehmen werden, weil Sie durch die Straßen hetzen, anstatt zu flanieren, diese wunderhübschen Balkönchen nennen die Portugiesen hingegen „Varandas“.
C wie Curto. Sie müssen keine Zeit damit verplempern, die vielfältigen Arten des Kaffees in Lissabon auszuprobieren. Bestellen Sie einfach einen Curto, denn der passt am besten zu Ihnen: Sie können ihn in einem einzigen Schluck hinunterkippen und er enthält so viel Koffein, dass Sie danach in völlig neue Dimensionen der Energie vordringen können.
D wie depressa. Schnell heißt auf Portugiesisch „depressa“. Schneller heißt: „mais depressa“. Am schnellsten heißt „a mais depressa“. Sie haben keine Zeit für Assoziationen, deshalbmuss es Ihnen auch gar nicht weiter auffallen, dass dieses Wort irgendwie depressiv oder auch
Weitere Kostenlose Bücher