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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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blutrotem Urin, wandernden Augen und chronischem Schluckauf bei unserem sterbenden Patienten. Die restlichen Symptome verstehe ich nicht. Mein Schwedisch fasst erst wieder Fuß, als von einem Begräbnis in Stockholm die Rede ist, der Umbettung auf einen Pariser Friedhof und der Tatsache, dass dem toten Descartes lange der Kopf fehlte, der bis Ende des 19. Jahrhunderts als Diebesgut umhertingelte.
    Nach dem Treffen ist mein Wortschatz um die Begriffe Atemnot, Exhumierung und Auslandskrankenversicherung reicher. Vielleicht sollte ich mir für die nächste Sitzung einige Alltagsthemen zurechtlegen. Anders studiert Kriminologie und dürfte ohne Widerstand immer wieder in gruselige Sphären abgleiten.
    Vogelgezwitscher weckt mich. Wie wunderbar – wenn es mich nicht nachts um zwei um Schlaf und Verstand bringenwürde. Ich winde und drehe mich verzweifelt, träume wirre Sachen von Hamburg und Skirennen und davoneilenden Zügen, bis die königliche Straßenreinigung in drei hyperaktiven Schüben ihre Bürsten über der Skeppargatan ausgefahren hat und ich mich damit abfinde, kein Auge mehr zuzubekommen.
    Der Tag meiner Probearbeit im Designladen beginnt folglich mit einem extra frühen, extra starken Morgenkaffee, der mich aber nicht davor bewahren kann, im Treppenhaus die Stufen nach unten mit dem Po zu nehmen. Im Schutz der Dunkelheit hatte da jemand seinen nadelnden Weihnachtsbaum entsorgt – und das kurz vor Ostern. So viel zu Sankt Knut!
    Im Östermalmer Einkaufszentrum Fältöversten und damit direkt vor meiner Haustür liegt ein DesignTorget . Diese Kette vertreibt skandinavisches Design, das wie ein Überraschungsei drei Bedürfnisse auf einmal erfüllt: Was Langlebiges, was Praktisches und was zum Schmunzeln sollen all die Dinge um mich herum sein. So erklärt es mir Ebba, die den Laden leitet. Weil bereits einiges los ist, geht sie hinter die Kasse, und wie ihre Kundschaft sehe ich mich erst mal in Ruhe um.
    Auf einem Tisch stapeln sich Becher mit aufgedrucktem Schnauzer oder Papageienschnabel, damit wenigstens beim Trinken lustig aussieht, wer das nicht ohnehin schon tut. Für die Käsesemmel gibt es ein nettes Papierhöschen in Leoparden- und Zebraoptik. Damit bei den Herren keine Langeweile aufkommt, liegt ein Memory-Set aus, bei dem sie zwei gleich geartete Brüste aufdecken müssen. Doch auch sinnvollere Sachen wie Bücherständer und Zeitungsrollen kommen extravagant daher. Als ich zum nächsten Tisch wechsle, verfolgt mich ein Kuckucksuhr-Wecker wie ein Panzer auf Gummirädern.
    „Kannst du mir sagen, was das sein soll?“ Eine Kundinwedelt mit einem Stofftier-Bündel unter meiner Nase herum. Dummerweise habe ich mich auf Ebbas Wunsch komplett schwarz angezogen, damit mich eine Frau wie diese als qualifizierte Arbeitskraft erkennen kann. „Steht das denn nicht drauf ?“, frage ich und untersuche hilflos das Etikett. „Na, Schlüsselanhänger steht da schon. Meine Tochter bekommt zu Ostern ein neues Fahrrad, weißt du? Aber was für Gestalten sind das denn – vielleicht die Comicfiguren aus Bolibompa? “ Das schwedische Kinderfernsehprogramm sehen Caro, Oskar und ich mit der gleichen Begeisterung wie ein Fünfjähriger. Diese Dreiecke oder Tropfen in Gelb und Braun sind mir dabei aber noch nie aufgefallen.
    Ich finde gar nicht so abwegig, was ich daraufhin in den Raum stelle: „Das eine könnte eine gedrehte Haube aus Kartoffelpüree sein und das andere vielleicht ein Fleischbällchen?“ Die Frau guckt skeptisch und ruft Richtung Kasse: „Är det verkligen köttbulle med potatis?“ – „Nej!“ – Ebba zieht das e im schwedischen Nein vor lauter Unverständnis über die Frage zu einem derben stockholmerischen ä. „De är kiss och bajs!“ – „Oh, wie lustig das ist! Dann nehme ich die natürlich“, schreit die Frau und steuert auf Ebba zu, die lacht und mir einen aufbauenden Augenaufschlag schickt. Ja, ja, ich weiß: Ta det lugnt!
    Nun verstehe auch ich: Die Frau hat soeben das kleine und das große „Geschäft“ am Schlüsselbund gekauft. Vad äckligt! , echt eklig!, denke ich mit einem Östermalmer ladyliken naserümpfenden ä.
    Das Problem dieser Tage ist die Kombination diverser Sprachen, Dialekte und stadtteiltypischer Besonderheiten. Wie im Schwedenrätsel geht es ständig kreuz und quer, und in meinem Kopf herrscht heilloser wirrwarr , wie es auch der Schwede nennt. Genau da fängt es nämlich schon an. Einige Wörter und Redewendungen sind dem Deutschen ähnlich, weshalb ich

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