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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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Tagen zu warm in der Hauptstadt, weshalb man ihn aus dem Norden liefern ließ. All das stört die Aktiven nicht, die in einem Affenzahn an der Bande vorbeiflitzen, dann für engeKurven leicht bremsen, um wieder eine Anhöhe hinaufzupreschen, als wäre der Allmächtige hinter ihnen her.
    Ich drücke mich in die vorderen Reihen vor, um das Spektakel nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Doch es bleibt wenig Zeit, um mich an das Tempo zu gewöhnen. Mein Handy klingelt. „Ja?“, frage ich etwas hektisch. „ Hej! Du wolltest bei uns arbeiten. Ich stelle dich durch zu Ebba. Mach’s gut. Viel Glück!“ Oh, ein Job! Bloß – zu welcher Bewerbung? Den Überblick habe ich längst verloren. Ge mig mera köttbullar! , fordern lautstark Kinderstimmen durch den Hörer: Gib mir mehr Fleischbällchen! Prima, jetzt hänge ich in der Warteschleife. In Strophe zwei wollen die Kinder meine Pfannkuchen. Als dritter Gang kommt Fischpudding …
    „Guck mal, Papa, da ist der König. Ich dachte, der wohnt auf Gotland!“, ruft da plötzlich ein Mädchen rechts vor mir. Was? König? Ich recke den Kopf. „Nein, nein, der lebt in Drottningholm, Matilda“, entgegnet der Vater unaufgeregt: „Und hier im Schloss arbeitet er. Du, wollen wir uns bei der Skeppsbron einen Stockfisch kaufen?“ Sie gehen davon und geben endlich die Sicht frei.
    Tatsächlich, da geht er, keine fünf Meter vor mir, in einer Seelenruhe mit einem Fotografen nebendran, jedoch ohne Sicherheitsleute: der König persönlich, Carl Gustaf Folke Hubertus Bernadotte, den ich um Himmels Willen nicht duzen darf, der XVI., der Mann von Frau Sommerlath, Ihrer Hoheit, ich werd verrückt.
    „Hallå?“ – Was will denn die Frauenstimme jetzt am Telefon? „Jag kan faktiskt se Kungen!“ , brülle ich in den Hörer. „Vad?“ , kommt zurück: „Den König siehst du? Ja, aber deshalb musst du mich doch nicht anschreien. Ta det lugnt! Der läuft überall rum. Also, ich bin Ebba, du hattest dich gemeldet wegen einer Stelle bei uns …“
    Ich höre gar nicht hin. Ich bin damit beschäftigt, meine Kamera aus der Tasche zu pfriemeln, um Beweisfotos zumachen. Damit bin ich allerdings die Einzige. Keiner scheint ihn wahrzunehmen. Armer verkannter König. Dass der jetzt aber auch nicht kurz stehen bleiben kann für ein Foto! Ich drehe auf meiner Digitalkamera einen Minifilm von dem Mann mit schwarzer Jacke und gelocktem Resthaar, damit die Daheimgebliebenen begreifen, was mir hier widerfahren ist. Carl Gustaf schlendert derweil entspannt die Stufen zu seinem Schloss hinauf, wobei er auf der Großleinwand zwei, drei Sekunden kommentarlos eingeblendet wird. Dann ist er weg. Mich zerreißt es fast vor Anspannung.
    „Sag mal, willst du das nun machen oder nicht?“ – Ich hatte völlig vergessen, dass ich ein Telefon zwischen Schulter und Ohr klemmen habe. „Ähm, was genau?“, stammle ich. „Hier im Designladen bräuchten wir einmal pro Woche jemanden. Ab März. Kannst du zum Probearbeiten vorbeischauen?“ – „Ach ja, natürlich, ich komme.“

    In den späten Abendstunden streife ich noch immer wie ein heimatloses Tier durch die Stadt – drücke mich am Wasser entlang, werfe Kiesel hinein und beobachte im Laternenschein die immer größer werdenden Kreise, die sich um den Einschlag ziehen. Unter dem pechschwarzen Himmel ist das Wasser ein endloses Tintenfass.
    Lars meldet sich nicht. Im Café Maria wurden vor zwei Stunden die Stühle kopfüber auf die karierten Tischdecken gestellt und mit einem Wischmopp die Reste des Tages beseitigt. So viel hätte ich ihm erzählen wollen. Stattdessen frisst sich allmählich die Kälte durch meine Poren, macht Wangen, Ohren und Finger taub. Meine Stirn ist tiefgefroren, wovon ich einen stechenden Schwindel bekomme.
    Ich muss nach Hause. Niedergeschlagen suche ich mir einen Heimweg über den Strandvägen, den Beginn von Östermalm und die Nobelmeile der Hauptstadt. Hier, unmittelbar am Wasser, wo die Schnellboote und Yachten anlegen, lebenTiger Woods und seine schwedische Frau mit Tochter und Sohn. Die drei Königskinder besitzen Apartments, ebenso Tennisstar Björn Borg, und früher lebte auch Greta Garbo in dieser türmchen- und erkerreichen Nachbarschaft gleich neben Dramaten, dem Königlichen Theater, wo ihre Karriere begann. Etliche Künstler, Galerien und Museen haben sich niedergelassen. Und einige hundert Meter dahinter versuche ich, die Tür zu meiner Wohngemeinschaft geräuschlos aufzudrücken. Oskar schläft bereits, von

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