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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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den üblichen Lernprozess über Wörterbücher oftaus Bequemlichkeit ausblende und kreiere, was ich für sinnvolles Schwedisch erachte. Doch sobald ich mich auf die Sprachverwandtschaft verlasse, funktioniert es grade nicht – und Sverker schaut mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost. Oskars ausgesprochenes Westküstenschwedisch ist derweil selbst für Stockholmer mysteriös, und Caro überfordert mich im Supermarkt, wo ich mich „auskäsen“ soll, weil sie „Knast“ hat.
    Dabei ist es besonders meine Muttersprache, die unter den Schwedischfortschritten leidet und mittlerweile auf das Niveau eines Schulanfängers geschrumpft ist. Da ich es tagtäglich so sehe und höre, schreibe ich in Berichten und E-Mails „kann“ natürlich mit einem n. Überhaupt verzichte ich jetzt auf eine Menge Buchstaben und Silben, die mir neuerdings nicht mehr so dringlich vorkommen. Dem „ungefähr“ beispielsweise entziehe ich das h, spreche das g wie j, rolle das r wie ein Schweizer und verleihe dem Ganzen eine französische Schlussbetonung.
    Die Stockholmer selbst sind keine Hilfe, um das Dickicht zu lichten. Bemerken sie, dass sich Ausländer schwertun mit Vokabular und Aussprache, schwenken sie wie selbstverständlich auf perfektes Englisch um – Zehnjährige ebenso wie Rentner. Weil es Schweden gern neutral haben, trifft man sich eben auf gemeinsamem Sprachterrain.
    „Sorry, you looked so Swedish. But great, let’s speak English!“ – „Förlåt, men är du snäll och pratar svenska med mig?“ So oder so ähnlich bettle ich regelmäßig darum, mein Schwedisch stockend-stotternd zum Besten geben zu dürfen.
    Nach ein paar Stunden im DesignTorget jedenfalls bin ich um einen Nebenjob und einige Erfahrungen reicher. Mein erstes Geld investiere ich gleich in zwei Türmatten. Auf der einen steht:
    Mobilen – Nycklarna – Plånboken
    (Das Handy – Die Schlüssel – Die Brieftasche)

    auf der anderen:
    Spisen – Fönstret – Strykjärnet
    (Der Herd – Das Fenster – Das Bügeleisen).

    Die Abstreifer weisen auf das Wichtigste hin, das ich geneigt bin zu vergessen, wenn ich in Hektik die Wohnung verlasse, und sind somit ein origineller Unheilvermeider. Ich freue mich auf einen ruhigen Abend, als ich auf die Skeppargatan abbiege – und eine Kolonne von Feuerwehr- und Polizeiautos sowie Krankenwagen vor meinem Haus entdecke.

    Ich bleibe wie angewurzelt stehen und denke:
    Der Backofen – Der Heizstrahler – Die Herdplatten,
    Die Caro – Der Oskar – Mein Notebook!

    Hoffentlich war alles aus beziehungsweise ist jetzt noch heil, bete ich, als ich schnellen Schrittes in die stinkende Umgebung eines Schwelbrandes eintauche. Gerade schieben Sanitäter jemanden auf einer Trage in den Krankenwagen. Ich halte die Luft an, mir steigen die Tränen in die Augen – zum einen aus Anspannung, zum anderen wegen des beißenden, nicht auszuhaltenden Geruchs von Gas und geschmolzenen Kabeln. Durch den Dunst erkenne ich aber zum Glück, dass es keine mir bekannte Person ist, die da abtransportiert wird, was die Sache für diese Frau natürlich nicht besser macht. Sie hat eine Platzwunde an der Schläfe und wirkt benommen. Wenige Meter weiter erblicke ich Caro und eile hinüber.
    „Weißt du, was los ist? Ist dir was passiert? Warst du oben in der Wohnung?“, frage ich. „Dreimal nee“, sagt sie, „ich komm auch grad vom Einkaufen. Vielleicht können wir ja wieder rein. Mir ist kalt.“ Sie stülpt sich den Schal über Nase und Mund, nimmt mich am Arm und wandert entschlossen Richtung Haustür. Eine Frau mit der Aufschrift brandsoldat auf der Reflektorenjacke ist damit aber nicht einverstanden. Sie leite den Feuerwehreinsatz und sei auch für die Sicherheit von uns beiden zuständig, erklärt sie freundlich undentschuldigt sich zweimal für die Umstände. Die Lage sei noch zu unsicher. Sicher ist hingegen, dass es sich beim Gebläse an der Ausgangstür unseres Einkaufszentrums um eine geniale Erfindung handelt, die wie die Dinge im DesignTorget langlebig, praktisch und lustig zugleich ist. Verfroren stellen wir uns darauf, Caros Rock flattert im Monroe-Stil, und wir bilden uns ein, um uns herum wehe eine warme Sommerbrise.
    Nach einer knappen Stunde dürfen wir zurück in die WG. Im Flur brennt Licht, das keine von uns eingeschaltet hatte. Wir sehen uns um – und trauen unseren Augen kaum: Die Sicherheitsleute haben das Haus geräumt, alles auf zwei bis vier Beinen evakuiert, aber Oskar vergessen, der friedlich in seinem

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