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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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Tapetenmuster tätowieren, und neben einem Haufen Graffiti-Kunst finden sich charmant überklebte Straßenschilder. Am Zebrastreifen gehen da schon mal alle vier Beatles mit hinüber. Fika mache ich im Blå lotus an der Katarina Bangatan oder im String , einem lebendigen bunten Eckcafé an der Nytorgsgatan, wo Nadine und ich gerade schweigend abbiegen. Dort isst man den besten Beerenkuchen mit Vanillesauce der Stadt und kann bis aufs Personal und die Gäste alles kaufen, was einem unter die Augen kommt – von der durchlöcherten Couch über eine funktionstüchtige Ampel bis zur karierten Kloschüssel.
    Nadine zieht mich hektisch am Jackensaum. „Eine Spindel ist mir angefallen.“ Sie spricht – und sie spricht sogar Deutsch. So etwas Ähnliches zumindest. „Eine Spindel? Ist dir auf gefallen? So was mit CDs drin, im Schaufenster?“ – „Nei-hein, eine Spindel ist mir an gefallen.“ Daraus werde ich nicht schlauer. Nadine ist genervt von meiner Begriffsstutzigkeit, verdreht die Augen und marschiert weiter. Ich eile hinterher. Mir kommen die Brüder Grimm in den Sinn: „Habt ihr heute Dornröschen gespielt?“ Kopfschütteln. „Oder Frau Holle? Rumpelstilzchen?“ – „Hä?“
    Zu Hause rekonstruiert Matilda, was passiert ist, während sie die Reste aus dem Kühlschrank in eine Pfanne wirft und es pyttipanna , Hoppelpoppel, nennt: „Ihr ist so ein kleines Tier mit acht Beinen über die Schulter gesprungen. Wie sagt man?“
    Das ist der Tag, an dem ich lerne, dass spindel im Deutschen Spinne bedeutet. Bei unserem middag , was selbstredend das Abendessen ist, erklärt mir die schwedische Familie, dass man zu Stroh halm sagt, zum Halm hingegen strå . Ein Strohhalm ist also ein halmstrå – aber nur so einer, wie der in der Natur vorkommt. Der aus Plastik heißt sugrör , Saugrohr, wie ich bislang den Staubsauger gerufen habe. Der wiederum trägt in Wahrheit den Namen dammsugare , wo ich doch dachte, ein damm wäre ein Stausee.
    „Wusstest du eigentlich, dass man bei uns die Hälfte von schwarz verdientem Geld dem König zuschickt?“, fragt Matilda, als sie mich nach einem unterhaltsamen Abend zur Tür begleitet und mir ein paar Scheine zusteckt. „Was? Dem König? Meine Kronen?“ Matildas ernste Miene weicht einem spöttischen Augenaufschlag: „April, april, du dumma sill, vi kan lura dig vart du vill!“ („April, April, du dummer Hering, wirst reingelegt, wann immer wir es wünschen!“)
    Fy fan! Verdammt! Es ist bereits nach Mitternacht, und mein müder Geist hatte den Monatswechsel verschlafen.

april
    Schwarze Rinnsale aus Maskara fließen über bleiche Wangen und tränken den Ansatz des meist platinblonden Haars. Schuld an der Tristesse der Mädchen ist Bill, Sänger der deutschen Band Tokio Hotel. Zwar ist schon lange bekannt, dass er an den Stimmbändern operiert wurde und das Konzert in der Veranstaltungshalle Hovet abgesagt ist. Doch seit Tagen kursierte das Gerücht einer Wunderheilung. In ihrem Kummer tun mir die Mädchen leid. Caro läuft sogar auf ein hochgewachsenes Groupie in Strapsen zu, nimmt es in den Arm und tröstet: „ Ja, ich weiß. Tolle Wurst, echt!“
    Wir waren diesem Phänomen bereits vor Wochen begegnet. Damals war die Stimmung ein Feuerwerk, eine Explosion für Augen und Ohren. Eine neue Platte oder DVD war herausgekommen, weshalb sich ein Schwarm pink-schwarzer Mädchen auf dem Plateau mit den schwarz-weißen Dreiecken am Sergels torg gesammelt hatte. Ohne jedes erkennbare Signal für Außenstehende verwandelte sich die Gemeinschaft unter markdurchdringendem Gebrüll in eine Herde wild gewordener Kühe, das an uns vorbei in einen Musikladen galoppierte.
    Caro und ich erkundigten uns, was denn mit ihnen los sei. „Eine supertolle Band aus Tyskland tritt im April hier auf“, hörte ich von einem Mädchen in Pippi-Langstrumpf-Strapsen, das jeden Einzelnen von Tokio Hotel um mindestens einen Kopf überragt hätte. „Und da schreit ihr schon jetzt?“, fragte Caro etwas unsensibel für jemanden, der in seiner Vergangenheit kein Konzert der Backstreet Boys ausgelassen hatte. Aber wohl deshalb hatte sie einen guten Drahtzu den Mädchen und erklärte ihnen, dass sie aus dem Land dieser einmaligen Künstler komme. „Bist du auch aus Magdeburg?“ Eine Jugendliche, die sich nicht zwischen kariert und gestreift hatte entscheiden können, bekam große Augen. Ich allerdings auch, weil ich es nicht fassen konnte, dass ein nicht übermäßig hell aussehender Teenie seine

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