Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
fünf.«
»Na, das wär’s dann. Du musst dein Squash verschieben.«
»Was? Wieso denn das?«
»Ich habe Julis Eltern versprochen, dass wir die Mädchen abholen. Sie bringen sie hin, das ist also gerecht verteilt.«
»Och nee! Kannst du sie nicht abholen, Schatz?«
»Ich gehe mit Craig zu der Führung durch das Kerzenmuseum. Ich hab uns extra angemeldet.«
»Tja, und ich hab mich zum Squash angemeldet«, sagt Dad. Er trocknet sich die Hände an einem Geschirrtuch und kommt zu Mum zurück, um sich an sie zu kuscheln. Er kitzelt sie an der Wange und küsst sie auf den Nacken. »Und du wirst sogar vielleicht feststellen, dass ich mich zuerst für Squash eingetragen habe«, sagt er. »Wenn es dir allerdings zu viel wird …«
Mum schlägt seine Hand von ihrer Wange fort. »Ich weiß sowieso nicht, warum du überhaupt Squash spielst. Du bist nämlich nicht gerade gut«, sagt sie lachend.
»Hoi!« Er kitzelt sie stärker, bis Mum ihn bittet, aufzuhören.
»Okay, okay, ich mache es«, quietscht sie schließlich.
Dad wird ernst. »Bestimmt? Schaffst du es auch wirklich?«
»Ich bin nicht krank, nur schwanger«, sagt sie. »Geht schon klar. Ich fahre mit Craig im Auto zu dem Museum, dann müssen wir nicht auf den Bus zurück warten.«
»Hört mal, keiner von euch muss irgendwas absagen«, melde ich mich zu Wort. »Wir können schließlich auch einen Bus nehmen.«
»Nein, das geht nicht«, sagt Dad, »nicht allein.«
»Dad, ich bin zwölf. Ich bin doch kein Baby mehr.«
»Ich weiß, Zuckerschnute, aber der Reitstall ist ziemlich weit entfernt, und du warst noch nie dort. Wir wissen ja nicht mal, ob dahin ein Bus fährt.«
»Ich hole euch ab. Das geht in Ordnung, ehrlich«, sagt Mum.
Ich spüle meine Schüssel aus. Warum müssen sie mich immer wie ein kleines Kind behandeln? Plötzlich kriege ich Beklemmungen und fühle mich erdrückt. »Ich geh Juli besuchen.«
»Musst du denn jede Minute mit Juli verbringen?«, fragt Dad. »Du siehst sie doch heute Nachmittag.« Er steht vom Sofa auf und folgt mir durchs Zimmer. »Ich wollte nämlich schon vorschlagen, ob wir heute Vormittag nicht alle einen Spaziergang machen.« Er stolpert fast über Craig, der immer noch bewegungslos auf dem Boden hockt, mit offenem Mund, den Blick starr auf die Zeichentrick-Aliens gerichtet. »Craig, du hast genug geglotzt«, sagt Dad. »Stell das jetzt mal ab.«
»Es wird aber gerade spannend«, jammert Craig.
»Abstellen, hab ich gesagt.« Dad geht zum Fernsehgerät und schaltet es aus.
Craig bricht sofort in Geheul aus. Er klingt wie eine Fliegeralarmsirene.
»Ich bin weg«, sage ich und gehe zur Tür. Da bleibe ich stehen. »Ist das okay? Vielleicht können wir später noch spazieren gehen?«
Dad stößt unwillig die Luft aus. »Ach was. Ich gehe mit Craig – und Mum kann sich ein bisschen ausruhen.«
»Muss ich mit?«, blökt Craig. »Kann ich nicht mit Jenny gehen?«
»Nein, kannst du nicht«, sage ich. Der Letzte, den ich jetzt brauchen kann, ist mein kleiner Bruder, der hinter mir hertrottet.
»Ich bin bald zurück«, sage ich noch, dann düse ich ab in die Richtung von Julis Trakt.
Ich stehe in der Eingangshalle und warte genervt und ungeduldig auf den Aufzug. Er kommt nicht. Ich habe auf den Knopf gedrückt, aber nichts tut sich. Das Treppenhaus ist ganz am anderen Ende des Gebäudes, deshalb benutze ich es fast nie. Ein junges Paar kommt vorbei. Sie halten sich bei den Händen und lächeln sich beim Hinausgehen an. Mich haben sie gar nicht bemerkt. Bestimmt auf Hochzeitsreise!
Was ist denn mit dem Aufzug los?
Ich muss wohl doch die Treppe nehmen. Ich muss jetzt unbedingt zu Juli. Sie ist die einzige Person, die mich versteht. Also, meine Familie geht ja so, was Familien betrifft. Aber sie sind eben Familie! Eltern, die dich behandeln, als ob du ein kleines Kind wärst, und die dir nicht zutrauen, dass du etwas allein hinbekommst.
Wenn ich nur schon älter wäre! Dann könnte ich tun, was ich wollte. Gehen, wohin ich wollte, wann immer ich Lust hätte.
Als mir diese Gedanken durch den Kopf wabern, komme ich gerade an dem alten Fahrstuhl vorbei, der nie funktioniert. Ich schlage mit der Faust an die Tür. »Blöder Fahrstuhl«, sage ich.
Und dann höre ich etwas. Ein Surren und ein Poltern und Scheppern – hinter der Fahrstuhltür. Dann ein Rattern, das lauter wird und näher kommt! Ich trete zurück. Schließlich: KLONK! Was ist das? Hat Mr Barraclough den Fahrstuhl tatsächlich repariert?
Das Geräusch
Weitere Kostenlose Bücher