Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
äh …« Ich deute auf den Eingang und verstumme.
Mr Barraclough scheint sich auf einmal daran zu erinnern, dass ich da bin. »Ja, sicher.« Er lächelt kurz in meine Richtung. »Entschuldige. Kümmer dich nicht um mich – ich bin nichts als ein törichter alter Narr. Danke für deine Hilfe. Geh nur.«
»In Ordnung. Tschüss«, sage ich, dann renne ich davon. Ob er vielleicht bei dem Willkommensempfang zu viel Sekt getrunken hat? Er hat gerade den Eindruck gemacht, als sei er in eine andere Welt geschlüpft – ein bisschen, wie schon bei der Versammlung.
Und ich weiß nicht, ob es an der Science-Fiction-Geschichte liegt oder an den Sachen, über die Juli gesprochen hat, aber der Gedanke regt plötzlich meine Phantasie an. Was, wenn wir tatsächlich in eine andere Welt gleiten könnten, einfach, indem wir sie uns vorstellen? Wenn wir in eine andere Dimension reisen könnten, wann immer wir wollten, mit einem Fingerschnipsen uns durch Zeit und Raum bewegen? Wäre das nicht cool?
Eine Sekunde lang hält mich die Vorstellung so gefangen, dass mein ganzer Körper zuckt und juckt, und ich kann es kaum abwarten, mit Juli darüber zu sprechen. Doch als ich versuche, meine Phantastereien zu formulieren, lösen sie sich auf und verfliegen, und einen Augenblick später kann ich sie überhaupt nicht mehr fassen.
Auf dem Rückweg zu unserem Apartment muss ich über meine Hirngespinste lachen. Das kommt davon, wenn man mit Juli zusammen ist: Man fängt an, an das Unmögliche zu glauben. Also wirklich, Phantasiewelten und andere Dimensionen – als ob!
3
Mum streckt den Kopf zur Tür herein.
»Jenny, möchtest du Frühstück?«
»Ich komme gleich«, stöhne ich. Sie nimmt das als Einladung, hereinzukommen und die Vorhänge aufzuziehen. Ein Streifen hellen Lichts strömt in das Zimmer. »Mum!« Ich ziehe mir die Decke über den Kopf.
»Nun mach schon, wir wollen unsere Pläne für heute besprechen«, sagt sie und schließt die Tür hinter sich.
Normalerweise schlafe ich nicht so lange. Es hat etwas mit diesem Ort zu tun. In der ersten Nacht brauche ich immer Stunden, bis ich einschlafen kann. Man kann den Fluss, der direkt vor dem Fenster vorbeifließt, hören. Zu Hause wohnen wir an einer Bahnlinie. Ich kann mühelos weiterschlafen, wenn der Güterzug drei Mal pro Nacht vorbeirattert, aber ein Fluss? Zu laut.
Wenn ich dann eingeschlafen bin, schlafe ich anscheinend viel tiefer hier. Und morgens wache ich dann wie benommen auf und komme nicht aus dem Bett.
Ich greife nach meinem Tagebuch. Niemals fange ich den Tag an, ohne wenigstens drei Seiten geschrieben zu haben. Als ich schließlich im Wohnzimmer aufkreuze, ist es fast elf Uhr. Craig hockt im Abstand von ungefähr zehn Zentimetern im Schneidersitz vor der Glotze und sieht einen Zeichentrickfilm an. Mum sitzt auf dem Sofa und hat die Sonntagszeitung um sich ausgebreitet. Dad macht den Abwasch.
»Guten Nachmittag«, sagt er ohne aufzublicken.
»Tut mir leid, bin einfach nicht munter geworden«, sage ich und schütte mir Cornflakes in eine Schüssel. »Glückwunsch zum Hochzeitstag«, setze ich hinzu und überreiche Mum eine Gratulationskarte.
»Ach, Süße, wie nett von dir«, sagt sie lächelnd. Dad trocknet sich die Hände ab und setzt sich zu ihr aufs Sofa, damit sie die Karte gemeinsam aus dem Umschlag nehmen können. Es sind zwei Teddys darauf, die in einem Boot sitzen.
»Danke, Zuckerschnute«, sagt Dad mit einem Zwinkern, dann geht er zurück und widmet sich wieder dem Abwasch.
»Wie sieht es aus, sollen wir den Tag besprechen, wo gerade alle hier sind?«, fragt Mum. »Der Tisch im Restaurant für heute Abend ist reserviert, nicht wahr, Tom?«
Dad nickt. Ihr Hochzeitstagsessen. Jedes Jahr gehen sie in so ein schickes Restaurant, um zu feiern. Normalerweise kommt ein Babysitter und passt auf mich und Craig auf, doch Mum hat darauf bestanden, dass wir in diesem Jahr alle gemeinsam gehen. Sie möchte, dass die ganze Familie feiert, nicht einfach nur sie und Dad. Ich nehme an, weil das Kleine unterwegs ist – es ist mehr oder weniger das letzte Mal, dass eine Familienfeier bedeutet: nur wir vier.
»Ich geh heute Nachmittag reiten, das wisst ihr ja«, rufe ich vom Tisch und schaufle mir die Cornflakes in den Mund.
»Und ich spiele Squash«, sagt Dad, der inzwischen das Spülwasser ablässt.
»Um wie viel Uhr?«, will Mum wissen.
»Viertel nach vier. Warum?«
Mum dreht sich zu mir um. »Um wie viel Uhr hört das Reiten auf, Jenny?«
»Halb
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