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Ein Jahr voller Wunder

Ein Jahr voller Wunder

Titel: Ein Jahr voller Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Thompson Walker
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unbestimmte Traurigkeit, die Vorahnung eines künftigen Gefühls.
    Die Oberfläche des feuchten Zements war so glatt wie Neuschnee, und er roch nach Meersalz. Lange überlegten wir, was wir schreiben sollten; wir dachten nur wenig schneller, als nasser Zement an frischer Luft trocknet.
    Und immer noch drehte die Erde sich, und die Tage vergingen, und die Sternbilder kreisten über den Himmel. Mit der Zeit lernten wir, die weißen Nächte in den Strahlungsschutzräumen zu verschlafen, die wir unter unseren Gärten gegraben hatten, wo die Luft nach Lehm und Steinen roch, so dass man nie vergaß, dass man sich unter der Erde befand.
    Nach und nach – und dann ganz plötzlich – ging der Sommer zu Ende.
    Was danach passierte, wurde an anderer Stelle gut dokumentiert. Aber ich bezweifle, dass Seths Name in einem anderen Bericht als meinem aufgetaucht ist.
    Er konnte es nicht ewig verbergen. Eines Nachmittags liefen wir vom Strand nach Hause, Scheinwerfer huschten an uns vorbei. Es war der Beginn einer Dunkelheitsphase, und der Mond schien tief am Himmel, gerade eben über den Dächern der Siedlung sichtbar.
    Wir teilten uns im Gehen eine Tüte saure Fruchtgummis. Seth betrachtete die Sterne.
    »Wenn Menschen wirklich auf den Mars könnten«, sagte er. »Würdest du hinwollen?«
    Ich liebte es, wie er über solche Dinge nachdachte.
    »Glaube ich nicht«, sagte ich. »Ich hätte zu viel Angst.«
    »Ich schon. Ich würde wahnsinnig gern so was machen.«
    Nur ein paar Sekunden später hörte ich die Tüte aus Seths Hand rutschen. Ich erinnere mich an das leise Platschen von Plastik auf dem Asphalt, als die Fruchtgummis auf die Straße rollten.
    Als ich mich zu ihm umdrehte, spürte ich seinen Körper schwer gegen meine Schulter gelehnt. Dann fiel er ruckartig mit dem Kopf voran auf den Bürgersteig.
    Ich glaube, ich wusste im selben Moment, dass danach nichts mehr so wäre wie vorher.
    Ich rief seinen Namen. Ich sah in seine Augen: Sie waren halb offen und leer. Sein Kopf rollte hin und her. Sein ganzer Körper zitterte auf dem Pflaster.
    Die Strecke vom Bürgersteig zur Tür des nächsten Hauses kam mir sehr weit vor, ich rannte sie in einem Tempo, das mich jetzt an einen Traum erinnert, den ich in dem Alter manchmal hatte und auch jetzt noch habe, in dem der Boden bei jedem Schritt unter meinen Füßen wegbricht. Bald klopfte ich mit beiden Fäusten an die Tür fremder Leute. Bald schrie ich die Frau an, die dort wohnte. Dann rief sie einen Krankenwagen, ihre Stimme so panisch wie meine.
    »Oh mein Gott«, rief sie ins Telefon. »Da hat ein Junge einen Anfall auf der Straße.«
    In diesen ersten paar Sekunden war ich der Frau dankbar, aber dann wollte ich, dass sie wegging, statt neben mir zu hocken, während Seth sich mit zuckendem Kopf auf dem Bürgersteig wälzte; meine jungen Arme waren nicht in der Lage, seinen Körper festzuhalten, mein Verstand sogar noch nutzloser, diese Minuten zu intim, um von einer Fremden gesehen zu werden.
    Der Anfall ließ schließlich nach, aber Seth musste die Nacht im Krankenhaus bleiben. Als er am nächsten Tag nach Hause kam, rief er mich an, um mir zu erzählen, was ich schon vermutete:
    »Sie glauben, es ist das Syndrom.«
    Ich spürte die Worte auf meine Brust drücken.
    »Ich weiß«, sagte ich.
    Eine Weile schwiegen wir. Ich konnte ihn ins Telefon atmen hören.
    »Aber so große Sorgen mache ich mir gar nicht«, sagte er. Ich glaubte ihm nicht. »Ich meine, geht es deiner Mutter nicht auch oft ganz gut?«
    »Einigermaßen«, sagte ich.
    Ich erzählte Seth nicht, dass sein Fall offenbar jetzt schon viel schlimmer war als der meiner Mutter.
    Danach wurde er zusehends schwächer. Bald schon verbrachte er den Großteil seiner Zeit im Bett. Nach der Schule lief ich immer sofort zu ihm, und wir sahen uns zusammen Filme an oder spielten Karten, oder wir betrachteten einfach nur die Sterne durch die Fenster in seinem Zimmer.
    »Wenn es mir besser geht«, sagte er dann, »bauen wir eine Festung im Garten und stellen dein Teleskop da draußen auf.«
    »Okay«, sagte ich und nickte heftig.
    Aber es machte mir Angst, wie dünn und fahl sein Gesicht allmählich aussah. Manchmal schloss er wegen eines plötzlichen Schmerzes in seinem Kopf einige Sekunden die Augen. Seine Nase blutete und blutete. Er sprach weniger und weniger. Sein Skateboard stand stumm in der Zimmerecke.
    Bald konnte er kaum noch laufen. Ich fühlte ihn von mir wegtreiben, wie Eis auf einem Meer.
    Seths Vater entwickelte nie

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