Ein kalter Strom
wobei Marijkes Team ihn unterstützen würde. Marijke hatte alle ihr zu Gebote stehende Überzeugungskraft einsetzen müssen, aber sie hatte Maartens schließlich überreden können, der Kriegslist zuzustimmen. Die Verlockung, vielleicht derjenige zu sein, der Erfolg hatte, wo den Deutschen nichts gelungen war, war schließlich doch zu stark gewesen. Petra hatte sie mit einem hochmodernen Observierungsset ausgestattet: ein winziges Mikro in einem Kuli, dessen Signale auf einem ferngesteuerten Gerät von Marijke aufgefangen wurden. Sobald Tony Mann genug Beweise entlockt hatte, würden Marijke und ihre Kollegen zu seiner Rettung heranpreschen.
Der Plan war nicht ohne Risiko, aber Tony war genauso entschlossen gewesen wie Marijke, Manns Morden ein Ende zu setzen. »Beim letzten Fall ist viel mehr Gewalt im Spiel gewesen. Jetzt, wo er die Morde ganz offen mit Sexualität verbindet, wird er sie häufiger genießen wollen. Es gibt keinen Grund, warum er sich auf Deutschland und Holland beschränken sollte. Wenn es ihm in einem Land zu gefährlich wird, kann er einfach die Grenze überschreiten und von vorn anfangen. Wir können nicht zögern und warten, bis er endlich einen Fehler macht, der mehr als nur Indizienbeweise liefert. Ich werde nicht hier sitzen und Däumchen drehen, während eine ganze Bevölkerungsgruppe wie Opferlämmer zum Abschlachten vorgesehen ist«, sagte er, als sie ihr Boot betraten.
Und so hatten sie die letzten zwei Tage verbracht, indem sie auf dem Rhein umherfuhren – manchmal vor der
Wilhelmina Rosen
, manchmal weit hinter ihr –, wo sie abwechselnd im Cockpit standen und mit einem starken Fernglas die Bewegungen der drei Männer an Bord beobachteten. Alle zwei Stunden oder so riefen Karpf und Marijke einander an und hielten sich über den Ort, wo das Schiff gerade war, auf dem Laufenden. In der ersten Nacht fuhr es bis Mitternacht durch und machte dann außerhalb der Fahrrinne fest. Marijke und Tony mussten noch eine Meile flussabwärts weiterfahren, bevor sie einen Kai fanden, wo sie anlegen konnten. Marijke hatte darauf bestanden, dass sie nicht mehr als vier Stunden schlafen durften, um ihr Zielobjekt nicht aus den Augen zu verlieren. »Ich fange an zu glauben, dass die deutsche Polizei Recht hatte, als sie die Schwierigkeiten des Observierens von einem Boot aus betonte«, sagte sie spitz, als sie den Reißverschluss ihres Schlafsacks hochzog.
»Zumindest wissen wir, dass er heute Nacht niemanden umbringt«, sagte Tony. »Von dort kann er das Auto nicht an Land bringen.«
Marijke hatte sich mit einer dampfenden Tasse Tee im Cockpit zusammengekauert, als die
Wilhelmina Rosen
kurz nach sechs an ihnen vorbeizog. Sie rief Tony, damit er das Steuer übernahm, während sie ablegte, und bald waren sie wieder auf der Spur. An diesem Tag kamen sie bis zur holländischen Grenze, und der Frachter fuhr den ersten Industriehafen auf holländischem Gebiet, Vluchthaven Lobith-Tolkamer, an. »Was machen wir jetzt?«, fragte Tony.
»Es ist eine Stunde her, dass ich mit meinem Team Kontakt hatte. Sie könnten sehr schnell hier sein. Und nach den Unterlagen können wir diesen Hafen auch nutzen«, sagte Marijke und drehte am Steuerrad. »Wir beobachten also, wo die
Wilhelmina Rosen
festmacht, ich lasse dich an Land gehen und suche dann eine Anlegestelle für Jachten, oder?«
Es war leichter gesagt als getan. Sie schafften es, ihr Beobachtungsobjekt im Auge zu behalten, aber es war nicht leicht für Tony, in der Nähe an Land zu gehen. Die einzige Möglichkeit wäre eine Eisenleiter gewesen, auf der er vier Meter an der Hafenwand hätte hochklettern müssen, und Tony musste zugeben, dass dies seine gegenwärtigen Fähigkeiten weit überstieg. Schließlich fand Marijke einen Ponton, von dem er auf trockenes Land gelangen konnte, aber inzwischen waren sie beide in einem Zustand von Frustration und Sorge.
Tony ging zu der Stelle zurück, wo sie die
Wilhelmina Rosen
zuletzt gesehen hatten, was aber in der Theorie leichter als in der Praxis war, weil die Pontons und Molen anscheinend willkürlich in verschiedenen Richtungen von den Hauptkais ausliefen. Schließlich kam er an die lange Landungsbrücke, an deren Ende er die
Wilhelmina Rosen
erblickte. Erleichtert sah er, dass der Golf noch auf dem Achterdeck stand.
Es gab jedoch keinen günstigen Aussichtspunkt, von dem aus man das Schiff im Auge behalten konnte. Es war keine Stelle, wo man sich abends gemütlich hinsetzte, um die Schiffe zu beobachten,
Weitere Kostenlose Bücher