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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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sind Sie?«, fragte der Schiffer, den er für Wilhelm Mann hielt.
    »Ich suche Wilhelm Mann.«
    »Ich bin Willi Mann. Was wollen Sie von mir?«
    »Können wir drinnen reden? Es ist eine private Angelegenheit«, sagte Tony und versuchte, harmlos auszusehen, indem er die Arme locker und unverfänglich herunterhängen ließ. Dies war das Schlüsselmoment. Alles konnte verloren sein, wenn Mann wegen einer winzigen Kleinigkeit misstrauisch wurde.
    Mann runzelte die Stirn. »Was für eine private Angelegenheit?«
    »Es geht um Ihren Großvater.« Tony trat einen Schritt näher, eine entspannte Geste, die ihm den Anschein geben sollte, nur etwas ganz Belangloses vorzuhaben.
    Mann schien bestürzt. »Ich habe Sie in Koblenz schon gesehen. Verfolgen Sie mich? Was wollen Sie von mir?«
    »Nur mit Ihnen reden. Darf ich?« Tony ging bis ans Ende der Gangway und tat so, als sei es das Natürlichste von der Welt.
    »Na gut. Kommen Sie ins Steuerhaus«, sagte Mann widerwillig.
    Es war ein bemerkenswerter Anblick, der sich ihm hier bot, dachte Tony, als er eingetreten war. Alles glänzte. Das Holz war spiegelblank poliert, und das Messing schimmerte leicht, als sei es von innen beleuchtet. Ein Regal enthielt ordentlich zusammengefaltete Karten, und der Kartentisch war makellos ohne einen einzigen Kaffeefleck. Der Raum roch nach Poliermittel und dem scharfen, chemischen Duft eines Luftreinigers. Mann stand an die Wand gelehnt und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte jung und abwehrend. Tony sah in ihm einen Moment den verstörten Jungen vor sich und spürte das vertraute Mitgefühl in sich aufsteigen. Wer wusste, was er durchgemacht hatte, bis er an diesen Punkt gekommen war? Tony konnte es sich vorstellen, und das war kein Trost. Denn eines stand fest: Selbst wenn er Mann am wahrscheinlichsten damit beikommen konnte, dass er die verbale Brutalität seines Großvaters nachahmte, würde er diesen Weg nicht einschlagen. Es musste eine andere Möglichkeit geben, diese Morde zu einem Ende zu bringen, und er musste sie finden.
    »Was wissen Sie über meinen Großvater?«, fragte Mann.
    »Ich weiß, was sie mit ihm auf Schloss Hohenstein gemacht haben.«
    Mann riss die Augen auf und presste die verschränkten Arme fest an seine Brust. »Was meinen Sie damit?«
    »Er wurde seiner Familie weggenommen und wie ein Tier behandelt. Ich kenne die Experimente. Ich weiß sogar über die Wasserbehandlung Bescheid. Es waren furchtbare Dinge, die man Kindern dort im Namen der Wissenschaft antat. Es muss schreckliche Folgen für ihn gehabt haben.« Tony sah, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. Mit jedem Satz schien Mann mehr in sich zusammenzusinken. Aber jetzt musste er ihn dazu bringen, dass er sich öffnete. »Sie müssen einen grausamen Preis für das gezahlt haben, was man ihm angetan hat.«
    »Was hat das mit Ihnen zu tun?« Manns Stimme war feindselig und trotzig, und er nahm die Haltung eines Menschen ein, der entschlossen ist, die Situation auszusitzen.
    Tony machte schnell eine Bestandsaufnahme. Wie groß sein Verständnis für Manns Schmerz auch war, ging es hier doch nicht um eine Situation, wo der sanfte, therapeutische Ansatz etwas bringen würde. Es würde viel zu lange dauern, ihn dahin zu bringen, dass er erleichtert seine Albträume aufdecken würde. Es war an der Zeit, die Festung zu stürmen. »Ich glaube, es ist der Grund, weshalb Sie meine Freunde umgebracht haben.«
    Manns Augen wurden schmal, und sein Kopf schien zwischen die Schultern zu sinken wie bei einem wachsamen Vogel. Tony roch den Schweiß, der die künstlichen Düfte in dem engen Raum überlagerte. »Ihr Deutsch ist nicht so gut, wie Sie glauben. Was Sie sagen, macht keinen Sinn«, sagte Mann und versuchte auf klägliche Weise arrogant zu klingen. »Wer sind Sie überhaupt?«
    »Mein Name ist Tony Hill. Dr. Tony Hill. Ich bin Psychologe.« Er lächelte. Damit hatte er sich ohne Rettungsnetz auf das Seil begeben. Und es störte ihn nicht. »Es stimmt, Willi. Ich bin der Feind.«
    »Ich glaube, Sie sind verrückt. Und ich möchte, dass Sie sofort mein Schiff verlassen.«
    Tony schüttelte den Kopf. Die ersten Risse begannen sich zu zeigen. Aber er hatte noch nichts, was als Geständnis gelten konnte. Es war an der Zeit, neue Ansatzpunkte zu finden. »Ich glaube nicht, dass Sie das möchten. Ich glaube, Sie wollen, dass jemand die Bedeutung dessen erkennt, was Sie tun. Sie haben nicht angefangen zu töten, weil der Gedanke daran Sie erregte.

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