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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Stahlträger, Bagger, Kräne, Lastwagen, Schweißgeräte, Kompressoren oder ein einfacher Hammer. Sie waren Werkzeuge mit menschlichen Gliedmaßen und menschlichen Gesichtern.
    Der junge Ingenieur wartete, bis der Küchenwagen hinter einer Steigung verschwunden war, und kehrte dann zu seinem Planungswagen zurück. Es war heiß in dem engen Holzraum, der Eisenofen bullerte und glühte, Papyrossiqualm vernebelte Menschen und Gegenstände. Der Ingenieur zog seinen Watterock aus, warf seine Schapka – die Pelzmütze mit den großen Ohrenklappen – gegen die Wand und setzte sich an den mit Konstruktionsplänen übersäten Tisch, nachdem er sich mit dem Fuß einen Stuhl geangelt hatte. Es waren noch vier Leute im Raum, alles Ingenieure, aber älter und erfahrener als er.
    »Wir haben einen Toten«, sagte der junge Genosse laut in den Qualm hinein.
    Der Satz zeigte keine Wirkung; viel schlimmer wäre es gewesen, wenn er gesagt hätte: Der Bagger III ist kaputt.
    »Man hat ihn einfach zur Seite gelegt!« Der Ingenieur hob die geballten Fäuste auf den Tisch. »Zwischen Abfall!«
    »Hier ist kaum der Ort, neben ihm Kerzen anzuzünden«, sagte einer im Raum. Es war ein Mann, der sich Bugaritschow nannte. So um die vierzig herum, seit zwölf Jahren in Sibirien, verheiratet mit einer Jakutin, Familienvater mit drei Kindern. Ein ehrlicher, biederer Mann, der in seiner Freizeit schnitzte und auf der Laute schwermütige Taigalieder sang.
    »So behandelt man keine Menschen!« sagte der junge Ingenieur laut. »Man hat mir immer soviel von der Würde des Menschen erzählt. Wo ist sie, he?«
    »Trink hundert Gramm Wodka, Brüderchen, und du findest die Antwort«, lachte einer, der Beresow hieß. »Zerbrich dir nicht den Kopf über moralische Theorien.«
    »Es war sein erster Toter«, meinte Bugaritschow und goß sich Tee ein. Auf dem Eisenofen brummelte der Samowar, so wie es sich gehört. »Er muß sich erst daran gewöhnen.«
    »Nie!« Der junge Genosse trommelte mit den Fäusten auf die Tischplatte. »Ich werde immer fragen! Wo sind wir denn hier?«
    »In Sibirien.« Bugaritschow schlürfte den dampfenden Tee und schnalzte dann mit der Zunge. »In Sibirien, Freundchen.«
    Es war eine Antwort, nach der es keine Fragen mehr gab.
    Wer kann Sibirien erklären …?
    Larissa Dawidowna hörte sich auf einem modernen Plattenspieler gerade die schönsten Melodien aus Tschaikowskys ›Dornröschen‹ an, als Dshuban Kasbekowitsch Owanessjan nach kurzem Anklopfen eintrat und an der Tür stehenblieb.
    Dshuban war Armenier, sah aus wie ein südfranzösischer Millionär und war sich seiner Wirkung voll bewußt. Wenn er nicht gerade den weißen Arztkittel trug, den er sich in der Lagerschneiderei auf Figur hatte umarbeiten lassen, kleidete er sich provokativ westlich, indem er die einförmigen Konfektionsanzüge, die man in den staatlichen Magazinen von Surgut erstehen konnte, ebenfalls in der Lagerschneiderei auf einen modernen Schnitt bringen ließ. Zu diesem Zwecke hatte er über den Umweg Swerdlowsk – Tjumen – Tobolsk dekadente französische und italienische Modemagazine bestellt. Jeden Monat kamen neue und so viele, wie man über die internationale Presseagentur beziehen konnte. Sobald sie im Lager eintrafen, benahm sich Dshuban Kasbekowitsch jedesmal wie ein kokettes Weibchen, das einen neuen Lippenstift entdeckt hat. Er hockte in seinem Zimmer und vergrub sich in die bunten Bilder der neuen Herrenmode. Selbst seine Stimme und sein Verhalten änderten sich in dieser Zeit. Die Krankmeldungen der Häftlinge beurteilte er milder, und er schrieb weniger Kranke arbeitsfähig. Im Lager gab es deshalb einen Informationsdienst, der vom Ersten Sanitäter über den Küchenelektriker bis zum Barackenältesten der Baracke VI lief: Sind die neuen Journale schon da? Waren sie bei der wöchentlichen Post dabeigewesen, umarmten sich die Kranken und stellten sich zur Untersuchung an. Dshuban Kasbekowitsch ließ sie im Eilschritt an sich vorbeimarschieren – die Minuten reuten ihn, die er für diese Bande verschwenden mußte. Er fieberte nach seinen Modemagazinen wie eine Geliebte nach der Umarmung des Liebsten.
    Larissa Dawidowna blickte Dshuban erstaunt an, als er jetzt plötzlich vor ihr stand. Es war sonst nicht seine Art, nach kurzem Anklopfen einfach einzutreten. Höchstens vier- oder fünfmal war das in all den Jahren passiert, und dann nur in Notfällen. Im täglichen Leben ging man sich aus dem Weg. Man arbeitete zwar zusammen im Lagerhospital

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