Ein Kreuz in Sibirien
Monsignore Battista und Monsignore Selogia, der Leiter der ›Ostabteilung‹. Sie begrüßten sich, wie alte Freunde sich begrüßen. Ein seidiger Himmel lag über der Heiligen Stadt, die Kuppeln und Türme der Kirchen schienen im Frühlingsschimmer zu schweben. Sie gingen am Rande der Kolonnaden entlang, die Hände vor der Brust und über dem vergoldeten Kreuz gefaltet, und genossen die sanfte Wärme des schönen Tages. Christus ist auferstanden … man spürte es.
»Was ich noch fragen wollte, mein lieber Bruder«, sagte Monsignore Selogia und rückte sein Brustkreuz gerade. »Haben Sie irgend etwas von unserem Pater Stephanus gehört?«
»Nichts.« Monsignore Battista nickte, weil zwei kleine Mädchen vor ihm knicksten. »Jegliche Verbindung nach Sibirien ist abgeschnitten. Wir haben keine Kontakte mehr.«
»Ob Stephanus sein Ziel erreicht hat?«
»Das weiß nur Gott allein«, sagte Monsignore Battista. »Wir werden wohl nie mehr etwas von ihm hören.«
Eine Meldung aus Moskau vom 19. März 1983
Der Mathematiker Valerij Senderow ist von einem Moskauer Gericht wegen seines Einsatzes für eine freie Gewerkschaftsbewegung in der Sowjetunion (SMOT) zu sieben Jahren Lagerhaft und fünf Jahren Verbannung verurteilt worden.
Die Verhandlung gegen den 37jährigen Senderow hatte nur einen Tag gedauert. Der Verfasser von mehr als zehn Arbeiten zur Funktionalanalyse war vor dem Prozeß einer psychiatrischen Untersuchung im Serbskij -Institut unterzogen worden, nachdem er bereits in früheren Jahren zweimal in psychiatrische Anstalten eingewiesen worden war. Strafverschärfend wurde vom Gericht angesehen, daß bei Senderow anläßlich einer Haussuchung Schriften des ›Bundes russischer Solidaristen‹ ( NTS ) gefunden wurden, einer Bewegung, die sich für eine Erneuerung Rußlands aus christlichem Geist einsetzt.
Denn Senderow ist orthodoxer Christ.
Weitere Kostenlose Bücher