Tod einer Queen
Magdalen Nabb
Tod einer Queen
Guarnaccias siebter Fall
Roman
Aus dem Englischen von
Matthias Fienbork
Diogenes
Titel der 1982 bei William Collins Sons & Co.
Ltd, Glasgow, erschienenen Originalausgabe:
›The Marshal’s Own Case‹
Copyright © 1990 by Magdalen Nabb
Umschlagzeichnung von Tomi Ungerer
Mein Dank geht an »Fabiana« (Gianni Ciardiello)
für großzügige Hilfe bei den
Vorbereitungen zu diesem Buch
Deutsche Erstausgabe
Alle deutschen Rechte vorbehalten
Copyright © 1994
Diogenes Verlag AG Zürich
120/94/43/1
ISBN 3 25722715 9
Alle haßten die lebende Lulu, und die tote Lulu war erst recht keine sympatische Erscheinung. Niemand wollte mit diesem unmöglichen Fall zu tun zu haben, schon gar nicht Wachtmeister Gurnaccia von der Carabinieri-Station am Palazzo Pitti. Es hatte andere Fälle dieser Art gegeben, und alle waren ungelöst geblieben. Auch diesmal rechnete niemand mit einer Aufklärung, doch als schon wenige Tage später die erste Festnahme erfolgte, waren alle Beteiligten verblüfft und beeindruckt. Nur der Wachtmeister nicht. Guranaccia konnte sich, trotz aller Beweise, einfach nicht vorstellen, dass die launenhafte Peppina einen so kaltblütigen Mord verübt haben sollte …
1
D ie Herbstwoche, in der das neue Schuljahr beginnt, ist genauso schlimm wie Weihnachten. Jedenfalls war das die Meinung von Wachtmeister Guarnaccia. Im größten Kaufhaus von Florenz war, wie immer, eine ganze Etage freigeräumt worden, und nun lagen dort Stapel von schwarzen, weißen, blauen und karierten Schulkitteln, und die Regale waren vollgepackt mit Schreibheften, Stiften, Schultaschen und anderen Dingen. Überall genervte Eltern und quengelnde Kinder, die von Stand zu Stand drängten und nach den knallbunten Packungen mit Filzstiften und Mickymaus-Radiergummis griffen. Mütter konsultierten ihre Einkaufslisten, um festzustellen, welches Kind dreizeilig linierte Hefte benötigte und welches doppelt linierte. Väter protestierten gelegentlich wegen der unnötig hohen Ausgaben, hatten aber wenig Hoffnung, beachtet zu werden. Es war heiß im Kaufhaus, und es herrschte ein ohrenbetäubender Lärm .
Der Wachtmeister hatte bislang noch nicht protestiert. Genau eine Stunde und zehn Minuten trottete er seiner Frau und den beiden Jungen jetzt schon hinterher. Gerade erst hatte er auf seine Uhr gesehen. Um diese nachmittägliche Stunde lag er gewöhnlich mit der Zeitung auf dem Wohnzimmersofa und döste, während der Espresso auf dem kleinen Tisch daneben langsam kalt wurde. Daß er darauf verzichten mußte, war für ihn ebensowenig Grund zur Klage gewesen, doch inzwischen fragte er sich, ob er es rechtzeitig zur Carabinieri-Wache Palazzo Pitti schaffen und um fünf wieder an seinem Schreibtisch sitzen würde. Eine gute Viertelstunde standen sie schon in einer langen Schlange vor der Kasse, als sich plötzlich zeigte, daß sie irgend etwas vergessen hatten, woraufhin die drei wieder loszogen. Totò brüllte: »Hier! Sie sind hier!« Er wurde von Teresa ständig ermahnt, leiser zu sein. Wozu das gut sein sollte, war dem Wachtmeister nicht klar, da alle anderen Kinder hier genauso brüllten. In dieser Menschenmenge konnte man nicht nachdenken, geschweige denn sich bewegen .
Sie waren wieder verschwunden. Er gab es auf, ihnen zu folgen, und blieb einfach stehen. Mit seiner Leibesfülle und in der schwarzen Uniform sah er aus wie ein gestrandeter Wal an einem belebten Strand. Ein leises »Uffa!« entrang sich ihm, während er nach einem Taschentuch suchte, um sich die Stirn abzuwischen. Ein Kind stolperte über seine großen schwarzen Schuhe, und eine Frau stieß ihn an: »Stehen Sie hier an oder nicht? «
Ohne ihr eine Antwort zu geben, löste er sich aus der Menschentraube vor der Kasse. Nirgends konnte er sich hinstellen, ohne irgend jemand im Weg zu stehen. Na ja, egal. Soweit er sich erinnerte, hatte er in die Schule höchstens einen Bogen liniertes Papier für den wöchentlichen Aufsatz mitgenommen, Bleistifte lagen in der Küchentischschublade oder wurden geborgt .
»Aber Mamma! Er ist viel zu lang!« Ein kleiner Junge hinter dem Wachtmeister protestierte, als seine Mutter ihm einen schwarzen Kittel anhielt .
»Ich werde ihn kürzen. Im nächsten Jahr soll er ja auch noch passen. Halt endlich still! «
Dem Wachtmeister fiel auf, daß kaum noch ein Kind mit der Satinschleife am Hals herumlief, wie sie seinerzeit üblich gewesen war. Seine Mutter
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