Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
riesigen Netz heran, das mehrere Milliarden Dollar umsetzte und Tausende Verträge mit Unternehmen aus Dutzenden von Ländern abschloss, die mit Saddams Regime Handel trieben. Ursprünglich als Hilfsprogramm für das irakische Volk gedacht – und zur Beruhigung des Gewissens derjenigen im Westen, die die Auswirkungen der Sanktionen auf die Zivilbevölkerung verringern wollten –, war es im Lauf der Zeit vom irakischen Regime manipuliert worden und zu einem Instrument verkommen, mit dem Schmiergelder von unzähligen internationalen Unternehmen eingestrichen wurden. Gleichzeitig fand außerhalb des Programms ein umfangreicher Erdölschmuggel statt – vor allem durch die Türkei, Jordanien und Syrien –, mit dem der Irak unerlaubte Einnahmen von rund 8,4 Milliarden Dollar erzielte. All das wurde vom Sicherheitsrat, einschließlich der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, stillschweigend geduldet.
Für das UN -Sekretariat, das es zu managen hatte, war das Öl-für-Lebensmittel-Programm angesichts der Größe der Summen und Handelsmengen sowie der Komplexität eines Systems, das als temporäre Maßnahme aufgebaut worden war, ein ständiger Quell der Sorge. Anfang 2004 trafen aus dem Irak die ersten Berichte darüber ein, dass zahlreiche Einzelne – zumeist Händler und Vermittler – von den durch das Programm genehmigten Ölexporten persönlich profitiert hatten. Den eigentlichen Sprengsatz bildete jedoch der Verdacht, dass Benon Sevan, ein langjähriger UN -Mitarbeiter, der als Leiter des Büros für das Irakprogramm die Aufsicht über die Hilfsaktion hatte, zu diesen Profiteuren gehörte. Bald griffen einige Medien den Vorwurf auf und behaupteten, das gesamte Programm sei ein riesiger Korruptionssumpf. Wir waren wie vor den Kopf gestoßen – und überhaupt nicht darauf vorbereitet, in einer giftigen Atmosphäre des Misstrauens, der Verbitterung und der ideologisch motivierten Angriffe auf die UNO mit solch einem Skandal umzugehen.
Um die Wahrheit über das UN -Programm herauszufinden, das in sieben Jahren Erdöl im Wert von rund 64 Milliarden Dollar verkauft und für die Menschen im Irak Lebensmittel und andere Waren des alltäglichen Bedarfs erworben hatte, bat ich Paul Volcker, den früheren Vorsitzenden des Federal Reserve Board der Vereinigten Staaten, die Leitung einer unabhängigen Untersuchungskommission zu übernehmen. Im folgenden Jahr nahm er gemeinsam mit seinem Team sowohl die Rolle des UN -Sekretariats als auch diejenige der UN -Mitgliedsstaaten bei der Entwicklung des Programms unter die Lupe. Die in mehreren Berichten niedergelegten Ergebnisse waren äußerst beunruhigend. Das UN -Management des Programms wurde scharf kritisiert, vor allem was Beschaffung, Buchprüfung und Überwachung betraf. Außerdem wurden über tausend Unternehmen aus einer ganzen Reihe von Ländern benannt, die Mitglieder des Saddam-Regimes durch Schmiergeldzahlungen bereichert hatten – worüber die Presse weit weniger ausführlich berichtete als über die Mängel des UN -Managements.
Für mich als Generalsekretär der Vereinten Nationen und deren obersten Verwaltungsbeamten waren die Untersuchungsergebnisse erschütternd. Auf persönlicher Ebene kam der Vorwurf hinzu, mein Sohn Kojo sei in den Skandal verwickelt – was für mich weitaus schmerzlicher war. Darüber hinaus lieferte er den Gegnern der UNO Munition, mit der sie mich persönlich in die Missstände beim Management des Programms hineinziehen konnten. Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitete Kojo bei dem Schweizer Handelsprüfungsunternehmen Cotecna, das 1998 eine Ausschreibung der UNO für die Prüfung humanitärer Lieferungen in den Irak gewann. Als der Vorwurf 1999 das erste Mal auftauchte, bat mein Kabinettschef Iqbal Riza den Verwaltungschef der UNO , Joe Connor, einen früheren Vorstandschef von Price Waterhouse, die Angelegenheit zu untersuchen, um festzustellen, ob ein Interessenkonflikt vorlag. Connor gelangte ebenso wie unser Rechtsberater Hans Corell zu dem Schluss, dass kein solcher Konflikt vorhanden war, da die Vertragskommission bei der Vergabe des Auftrags nicht wusste, dass mein Sohn für Cotecna arbeitete. Außerdem war Kojo 1998 bei Cotecna ausgeschieden.
Als enthüllt wurde – mir selbst und der Welt –, dass er für Tätigkeiten in Westafrika bis zum Februar 2004 weiterhin Zahlungen von Cotecna erhielt, also gut fünf Jahre länger als gedacht, war das für mich ein besonders bedrückender Augenblick. Am Tag der Enthüllung
Weitere Kostenlose Bücher