Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Resolution, die automatisch zum Krieg führen würde, sein Veto einlegen werde. Krieg, begründete er diese Entscheidung, sei nicht das richtige Mittel, um den Irak zu entwaffnen. Andere starke Verbündete der Vereinigten Staaten, wie Mexiko und Chile, standen in dieser Frage auf Seiten Frankreichs. Aus zahlreichen Telefongesprächen mit der mexikanischen Regierung wusste ich, dass Washington immensen Druck auf sie ausübte, für die Militärintervention zu stimmen. Aber, wie Außenminister Luis Derbez in einem Telefongespräch am 13. März erklärte, sie konnte einfach keine Entscheidung unterstützen, »die ein unilaterales Vorgehen ermöglicht und die Ermächtigung zur Kriegführung enthält«. Angesichts der Geschichte seines Kontinents, fügte er hinzu, habe er Powell gesagt, Mexiko könne »der UN nicht erlauben, den Sturz einer Regierung zu rechtfertigen«.
Dennoch lief die Zeit ab, und die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten befanden sich – mit oder ohne die UNO – auf Kriegskurs. Am Vorabend des Azorengipfels, eines Treffens zwischen den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Spanien, rief Blair mich an, um mir mitzuteilen, dass er »keinen Ausweg aus der Sackgasse« sehe. Am nächsten Tag, nach einem Anruf von Colin Powell, der mir eröffnete, dass die Vereinigten Staaten sich für die Invasion entschieden hätten, ordnete ich den Abzug aller im Irak verbliebenen UN -Mitarbeiter an. Drei Tage später begann die Invasion. Der Irak wurde wieder einmal von einem Krieg heimgesucht.
Die Entscheidung der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten, ohne ein Mandat des Sicherheitsrats den Irak anzugreifen, war eine Niederlage für alle, die mit uns versucht hatten, eine gemeinsame, wirkungsvolle Reaktion auf die Widerspenstigkeit des Irak gegenüber den Vereinten Nationen zustande zu bringen. Zugleich war aber auch das Recht gegen die Macht verteidigt worden. Denn mehrere Sicherheitsratsmitglieder, unter ihnen auch enge Verbündete und Nachbarn der Vereinigten Staaten, hatten auf dem Prärogativ des Sicherheitsrats beharrt, nach den Vorgaben des Völkerrechts darüber zu befinden, ob ein UN -Mitgliedsstaat ihn betreffende Resolutionen in erheblichem Maß gebrochen hatte und welche Konsequenzen dies haben sollte.
Trotz der Erschöpfung und Erbitterung, trotz des Gefühls, zahllose Stunden vergebens auf diplomatische Anstrengungen verwendet zu haben, und der gedrückten Stimmung angesichts der vermutlichen Konsequenzen eines unilateralen Krieges waren die Vereinten Nationen für sich selbst und für ihre Gründungsprinzipien eingetreten. Für die Welt – und das irakische Volk – spielte das in den folgenden Monaten und Jahren kaum eine Rolle, aber weit schlimmer wäre es gewesen, wenn die Vereinten Nationen einem unter falschen Voraussetzungen begonnenen Krieg ihren Segen gegeben hätten. Nach einer solchen Fehleinschätzung in den Augen der Welt wieder Glaubwürdigkeit und Legitimität zu gewinnen, wäre wesentlich schwerer gewesen.
Im Sturm: der Irak nach der Invasion
Als die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten am 20. März 2003 den Irak angriffen, beendeten sie ein Jahrzehnt, in dem die Vereinten Nationen und die Weltgemeinschaft versucht hatten, die Entwaffnung des Irak gemäß den Waffenstillstandsbedingungen des ersten Golfkriegs zu erreichen. An die Stelle der jahrelangen intensiven, angespannten, letztlich jedoch fruchtlosen diplomatischen Anstrengungen war die massive, ohne ein Mandat der Vereinten Nationen durchgeführte Invasion eines souveränen Staats getreten. Die anfängliche Erleichterung über die Schnelligkeit, mit der das irakische Regime zusammenbrach, wich bald dem Entsetzen über Szenen von Plünderung und allgemeiner Gesetzlosigkeit, die das irakische Volk mit zunehmender Sorge in die Zukunft blicken ließen.
Vier Tage nach Kriegsbeginn suchte der britische UN -Botschafter Jeremy Greenstock mich auf, um einen ersten Schritt zu unternehmen, den Bruch zwischen den Vereinten Nationen und der Koalition zu kitten. Am nächsten Tag lud ich die Vertreter der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder zu einem Arbeitsessen ein, um vor dem Hintergrund des akuten Konflikts den Dialog wiederaufzunehmen, den wir im Vorfeld des Krieges geführt hatten. Bei aller Bitterkeit war ich erstaunt über die pragmatische Atmosphäre des Treffens. Vor allem der russische und der chinesische Botschafter versuchten im Interesse der Weltgemeinschaft eine neue Basis für die Zusammenarbeit zu
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