Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Lakhdar Brahimi als Missionsleiter in den Irak zurückkehrten, um zur Überwindung des politischen Stillstands beizutragen, geschah es unter den größten Sicherheitsvorkehrungen. Wieder einmal sollte die UNO eine wichtige Rolle bei der Lösung grundlegender Streitigkeiten über die Struktur von Politik und Regierung spielen. Als jedoch die tiefer wurzelnden Kräfte des Bürgerkriegs die Oberhand gewannen, machte die Gewalt jeden diplomatischen Versuch, den Irak vom Abgrund zurückzureißen, unmöglich.
In New York ging der Kampf darum weiter, die Schlüsselmitglieder der Vereinten Nationen wieder zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, immerhin stand die bedeutende Frage der Zukunft des Irak an. Derweil wuchsen mit jedem Tag meine Zweifel an der Rechtfertigung des Krieges und der Klugheit seiner Führung. Am 15. September 2004 gab ich der BBC ein Interview. Nachdem der Journalist mir einige nicht gerade subtile Fragen über die Gefahr gestellt hatte, dass die Vereinigten Staaten, wie er sagte, zu »einer nicht zu stoppenden, unilateralen Supermacht« würden, wollte er wissen, ob die Sicherheitsratsresolution 1441 zum Krieg ermächtigt hatte. »Nun«, antwortete ich, »ich gehöre zu denjenigen, die glauben, dass eine zweite Resolution nötig gewesen wäre, weil der Sicherheitsrat angedeutet hatte, dass es Konsequenzen haben würde, wenn der Irak nicht kooperierte. Es wäre also Sache des Sicherheitsrats gewesen, diese Konsequenzen zu billigen oder festzulegen.« Nach einigen weiteren Fragen wollte der Reporter wissen, ob der Krieg »illegal« gewesen sei. »Ja«, antwortete ich. »Ich habe darauf hingewiesen, dass er nicht im Einklang mit der UN -Charta steht. Von unserem Standpunkt und vom Standpunkt der UN -Charta aus war er illegal.«
Diese Auffassung hatte ich schon bei früheren Gelegenheiten geäußert, allerdings auf weniger direkte Weise. Um die Fähigkeit zu bewahren, mich mit beiden Seiten der tiefen globalen Spaltung an einen Tisch zu setzen, hatte ich es bis zu jenem Zeitpunkt vermieden, den Krieg offen als illegal zu verurteilen. Aber diese Position war nicht mehr aufrechtzuerhalten, auch wenn ein Fernsehinterview nicht gerade der ideale Anlass war, um zu verkünden, dass der Kaiser nackt sei. Washington und London reagierten ebenso schnell wie wütend. Während das Sperrfeuer gegen mich und die Vereinten Nationen an Intensität und Umfang zunahm, fand ich Trost in einer großherzigen, humorvollen E-Mail von Ted Sorenson, dem früheren Berater und Redenschreiber Präsident John F. Kennedys:
»Lieber Kofi,
Ihre BBC -Erklärung sichert Ihnen: A. einen Platz in der Geschichte als mutigster, aufrichtigster und unabhängigster UN -Generalsekretär und B. keine dritte Amtszeit. Gratulation!«
Das Verhältnis zu Washington sollte jedoch noch schlechter werden. Im Oktober 2004 erfuhr ich von einem bevorstehenden Angriff von US -Truppen auf die irakische Stadt Falludschah. Beunruhigt über die unvermeidlichen Opfer unter Zivilisten, das Risiko der Verletzung des humanitären Völkerrechts und der wahrscheinlich aufstachelnden Wirkung auf die Aufständischen schickte ich Bush, Blair und dem irakischen Ministerpräsidenten Alawi einen Brief, um ihnen offiziell die Risiken einer weiteren Verschlechterung der Lage im Land vor Augen zu führen. Unerklärlicherweise wurde der Brief von meinen Mitarbeitern per Fax übermittelt, was zur Folge hatte, dass er umgehend an die Öffentlichkeit durchsickerte. Da er kurz nach meiner Erklärung über die Illegalität des Irakkriegs und nur wenige Tage vor der amerikanischen Präsidentschaftswahl bekannt wurde, lieferte er den Gegnern der UNO in Washington zusätzliche Munition in Form des Vorwurfs, ich würde mich in die amerikanische Innenpolitik einmischen. Nichts lag mir ferner. Ich wollte verhindern, dass die Situation in einen tieferen Konflikt abglitt. Aber die Realität unserer Absichten und Handlungen wurde in zunehmendem Maß irrelevant, da wir zum Ziel einer großangelegten Kampagne mit der Absicht wurden, die Vereinten Nationen zu delegitimieren.Das Öl-für-Lebensmittel-Programm bot hierfür das perfekte Mittel.
Das Programm war 1996 eingeführt worden, um das Leid des irakischen Volks zu lindern, das von strengen Sanktionen betroffen war. Denn die Menschen im Irak hatten zuallererst die Folgen der Entschlossenheit der Welt zu tragen, Saddam Hussein daran zu hindern, sein Arsenal an Massenvernichtungswaffen aufzufüllen. Das Programm wuchs jedoch rasch zu einem
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