Ein Magier in Nöten
und Monde flimmerten im Kerzenlicht. Ebenezum rückte seinen Hut in einem eleganten Winkel zurecht und ging zu einem riesigen Eichentisch herüber, der fast zur Gänze von einem voluminösen aufgeschlagenen Buch bedeckt war.
»Die meisten Sprüche«, setzte der Magier an, »sind ziemlich irdischer Natur. Jeder Magier – selbst ein so erfahrener wie ich es bin –, der seinen Beruf in so einem ländlichen Ambiente ausübt, wird den Großteil seiner Zeit damit verbringen, Magie für eine bessere Ernte zu weben oder Flüche von Schafen oder was auch immer aufzuheben. Nun, es geht zwar über mein Vorstellungsvermögen, warum jemand ein Interesse daran haben sollte, ein Schaf mit einem Fluch zu belegen…« Der Zauberer machte eine Pause, um in sein Buch zu sehen »… aber Job ist Job, und Lohn ist Lohn. Und das, Wuntvor, ist das erste Gesetz der Magie.«
Ebenezum nahm eine der beiden langen, weißen Kerzen in die Hände, die auf den beiden Seiten des Tisches lagen, und plazierte sie auf dem einzigen sauberen Fleck auf dem Fußboden. Das Kerzenlicht warf seinen Schein auf einen Stern, der in den Schmutz gezeichnet worden war.
»Das zweite Gesetz lautet: Bleib immer einen Schritt vor der Konkurrenz!« fuhr er fort. »Wie ich bereits erwähnte, wirst du der Ernte- und Fluchsprüche bald überdrüssig werden. Wenn du meine Meinung hören willst: Man ist erst ein richtiger Magier, wenn sie anfangen, einen zu langweilen. Aber in der Freizeit – äh, Wuntvor, das ist die Gelegenheit, um deine Magiekunst strahlen zu lassen.«
Ich beobachtete ihn in stummer Faszination. Er bewegte sich flink hin und her, wandte sich wieder um, kniete sich dort hin, holte ein Buch und eine verkrümmte Wurzel oder einen anderen seltsamen Gegenstand des magischen Gewerbes. Ich konnte mir beinahe vorstellen, seine Bewegungen seien mit Musik unterlegt, um in einem mysteriösen Tanz die folgende Magie angemessen anzukündigen. Das Ganze hatte etwas von einer Offenbarung für mich, als hätte ich ein Stück Schiefer aufgebrochen und das gesprenkelte blaue Ei eines Rotkehlchens gefunden.
»Und nun beginnen wir.« Die Augen meines Meisters schienen durch die Widerspiegelungen der Kerzenflamme Funken zu sprühen. »Wenn dieser Spruch beendet ist, werde ich die genaue Position, Disposition und vermutlich auch die genaue Richtung von jedem Steuereinnehmer im Reich kennen!«
Das tat mein Meister also in seiner Freizeit. Ich konnte mir denken, daß es mit dem Spruch noch etwas anderes auf sich haben mußte, fand den Zeitpunkt jedoch nicht geeignet, um langatmige Erklärungen zu verlangen.
Mit einer großen Geste rollte Ebenezum seine Ärmel zurück. »Nun beginnen wir!«
Kurz vor den Markierungen hielt er inne. »Doch mein Enthusiasmus läßt mich alles vergessen. Wuntvor, du scheinst etwas auf dem Herzen zu haben. Hattest du eine Frage?«
Also erzählte ich ihm die Sache mit dem Eimer.
Ich will nur das Beste, aber meine Hände machen leider nicht immer das, was sich der Verstand für sie ausgedacht hat. Wachstumsschwierigkeiten, pflegte meine Mutter zu sagen. Oder vielleicht in diesem speziellen Fall Gedanken an das Mädchen, das ich in den Wäldern getroffen hatte.
Jedenfalls habe ich den Schöpfeimer in den Brunnen fallen lassen – ohne das Seil.
Was sollte ich tun? Stumpf starrte ich auf das Seil, das ich um den Eimergriff hatte wickeln wollen. Ich hätte den Eimer nicht auf den Brunnenrand setzen sollen. Unten in der Tiefe des Brunnens konnte ich nichts entdecken. Ich trat gegen den Brunnenrand. Wenn sich das Seil nur auf magische Weise um den Eimergriff wickeln könnte, wäre ja soweit alles in Ordnung.
Und dann fiel mir ein, daß das Seil ja tatsächlich auf magische Weise an dem Henkel befestigt werden könnte. Deshalb war ich zum Studierzimmer des Zauberers gerannt, um ihn um Hilfe zu bitten. Das heißt, wenn er nicht zu beschäftigt sein sollte.
»Oh, ich denke, das wird sich machen lassen«, antwortete der Magier. »Manchmal hast du offensichtlich Probleme mit deinen Händen, Wuntvor. Ganz zu schweigen von deinen Füßen, deiner Größe und ein paar unwesentlichen anderen Dingen. Doch mit ein bißchen Glück könnte sich das auswachsen.«
Ebenezum strich seinen Bart. »Aus dieser Sache kannst du eine Lehre ziehen, Wuntvor. Wenn du ein Zauberer werden willst, mußt du dir jede Aktion genau überlegen. Jede Aktion, egal wie wichtig sie sein mag, kann irgendwie Auswirkungen auf deine Magie und damit auf deine Karriere und
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