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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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    OSSMANNSTEDT

    »Sackerment!«, rief Goethe, als ihm hinterrücks eine verkorkte Flasche Burgunders so heftig über dem Schädel zerschmettert wurde, dass ihm der Schlag in alle Glieder ging. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit gehabt, seinen Daumen aus dem Mund der Frau zu nehmen. Benommen lehnte er sich an den Tisch, um nicht in die Knie zu gehen, aber schon hatte der andere ihn am Kragen gepackt und herumgewirbelt, bereit, ihn mit einem Fausthieb niederzustrecken. Schiller hatte indes das Geweih samt Schädel und Trophäenbrett gegriffen und ließ es nun auf dem Rücken des Angreifers niedersausen. Als der Mann ohnmächtig zu Boden ging, knirschten die Scherben unter seinem Leib. Während Schiller das Geweih nicht aus der einen Hand gab, stützte er mit der anderen seinen Freund, bis der seine fünf Sinne wieder zurechtgesetzt hatte.
    Abzüglich des Mannes, den Schillers Hieb überwältigt hatte, sahen sie sich vier ausgewachsenen Männern gegenüber, die nun vom reglosen Körper ihres Kameraden aufblickten – kräftigen Landmännern, die, würde es zu einem Faustkampf kommen, weder abgeneigt noch ungeübt schienen. Die Frau verließ den Platz auf der Bank, um das Gefecht aus sicherer Entfernung zu verfolgen, derweil der Wirt der Schenke hastig Krüge und Flaschen einsammelte, um ihnen das Schicksal des Burgunders zu ersparen.
    Goethe hob beschwichtigend die Hände. »Messieurs, keine Hast und kein böses Blut. Ich bin durchaus willens, für die Unannehmlichkeiten aufzukommen.«
    »Das werden Sie, Sie vermaledeiter Leichenfledde rer«, sagte einer der Bauern und legte seine lederne Schürze ab. »Das bezahlen Sie teuer. Und zwar in ganz besondrer Münze.«
    Die beiden Dichter traten gleichzeitig einen Schritt zurück, doch hinter ihnen war nur die Wand, und die Tür nach draußen befand sich hinter den vier Männern, die sich ihnen jetzt näherten. Schiller sah zu Goethe. Der zuckte mit den Achseln.
    »Dem Manne kann geholfen werden«, sagte Schiller, schwang das Geweih über dem Kopf, traf den mutigsten ihrer Angreifer am Kiefer und holte ihn von den Beinen. Die drei anderen traten vor und entrissen Schiller den Tierschädel, um dann einen Hagel von Faustschlägen auf ihm niedergehen zu lassen. Ein Hieb ins Gesicht spaltete seine Lippe, einer in den Magen raubte ihm den Atem. Nun stürzte sich Goethe mit einem Sprung auf die Bauern und riss einen von ihnen mit sich zu Boden, wo sie kämpfend bald in die eine, bald in die andere Richtung rollten.
    Schiller war indes wieder zu Luft gekommen und rannte, den Kopf eines Bauern in seine Armbeuge gezwungen, gegen einen Holzbalken, an dem sein Opfer schlafend niedersank. Dann eilte er zu Goethe – der, auf den Dielen liegend, von seinem Obermann schmerzhafte Knüffe einstecken musste –, und mit einem Fußtritt trenn te er die beiden Kämpfer. Schließlich stürzte er ei nen Tisch, Platte voran, gegen die Männer, sodass Goethe und ihm genügend Zeit blieb, die rettende Tür zu erreichen und aus dem Wirtshaus zu fliehen – wobei sie alle Stühle in ihrem Weg umwarfen, um die Jagd der Verfol ger zu behindern.
    Kaum dass sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatten, griff Goethe nach dem Spaten, mit dem der Wirt den Schnee vor dem Eingang beseitigt hatte, und steckte ihn so zwischen Türknauf und Rahmen, dass die rasenden Bauern sie von innen nicht zu öffnen vermochten. Nur ihre Flüche fanden dumpf den Weg nach draußen.
    Schiller stützte sich mit den Händen auf seinen eigenen Knien ab und wartete, bis sich sein Atem wieder beruhigt hatte. Goethe hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt. Blut, Schweiß und Wein auf seinem Kopf dampften in der stillen Winterluft. »Ich fühle mir das innerste Gebein zerschmettert«, keuchte er, »und lebe, um es zu fühlen.« Er legte eine Hand auf seinen Scheitel und schmeckte danach von den Fingern. »Meinen Kopf hätte ich wohl geopfert, aber um den guten Wein ist es mir schade.«
    Schiller richtete sich auf, und mit spitzen Fingern entfernte er zwei blutige Scherben aus Goethes Haar. »Wir haben unsre Mäntel in der Stube vergessen.«
    »In der Tat. Und da wir gerade von der Stube spre chen: Warum ist es eigentlich so still da drinnen geworden?«
    Es war deshalb in der Stube so still geworden, weil die drei Bauern den hinteren Ausgang genommen und das Wirtshaus nun umrundet hatten. Als ihre wütenden Fratzen hinter der Ecke erschienen, brachen die beiden Weimarer ihre Atempause ab und gaben erneut Fersengeld. Der Weg

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