Ein mörderischer Sommer
sie sich. Noch nie hatte sie ihren Körper einer so eingehenden Betrachtung unterzogen, nie zuvor hatte sie versucht, sich selbst mit den Augen Pauls zu sehen. Plötzlich beugte sie sich vor, berührte ihre Zehen mit den Fingern und imitierte eine weitere der in dem Heft abgebildeten Posen. »Schön«, meinte sie sarkastisch, während sie sich von unten durch ihre Beine hindurch anstarrte.
»O Mom – iih!«
Noch während sie sich aufrichtete, schleuderte Joanne das Heft in den kleinen Schrank zurück und stieß die Tür mit dem Fuß zu. Gleichzeitig griff sie nach dem Badetuch, das am Boden lag, und wickelte es um sich herum. Sie fühlte ihre feuchte Haut warm werden von der Hitze des Schamgefühls.
»Was hast du da gemacht?« fragte Lulu.
»Ich habe meine Zehe angeschaut.«
»Deine Zehe hast du angeschaut?«
»Ich habe sie mir beim Tennisspielen verletzt«, erklärte Joanne mit schriller Stimme. »Was machst du denn so früh hier?«
»Lehrerkonferenz oder so was Ähnliches. Darf ich zu Susannah gehen? Ihr Vater hat einen neuen Flipperautomaten.«
»Natürlich, geh nur. Aber komm nicht zu spät zum Abendessen«, rief sie Lulu nach, die schon auf der halben Treppe war. »Mein Gott«, seufzte sie in einer Mischung aus Unbehagen und Erleichterung, als sie hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Das Telefon klingelte.
Sie lief hin, achtete dabei jedoch darauf, nicht zu nah am Fenster vorbeizukommen. »Hallo?« Wie schon zuvor, erhielt sie auch jetzt keine Antwort. »Ach nein, nicht schon wieder!« Sie wartete ein paar Sekunden, lauschte der unheimlichen Stille am anderen Ende der Leitung, fühlte unsichtbare Augen auf sich gerichtet, als ob das Telefon eine Kamera wäre, und ließ den Hörer so plötzlich auf die Gabel fallen, als wäre sie von einem Stromschlag durchzuckt worden. »Mensch, geh jemand anderem auf die Nerven!« riet sie dem Telefon und ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen. Sie wußte nicht warum, aber sie fühlte sich in Gefahr.
Dieses blöde Heft, dachte sie. Neue Wellen der Scham stiegen in ihr empor, als sie an den verblüfften Ausdruck ihrer Tochter dachte, von der sie dabei ertappt worden war, wie sie mit dem Kopf zwischen den Schenkeln dastand. Nicht daß sie prüde war – sie hatte es ganz einfach nie für richtig gehalten, nackt vor ihren Töchtern herumzuspazieren. Ihr wurde bewußt, daß sie ihre eigene Mutter erst dann nackt gesehen hatte, als die Frau zu schwach und zu krank geworden war, um sich alleine anzuziehen. Warum kaufte Paul wohl solche Zeitschriften?
»Hallo? Ist jemand zu Hause?« fragte eine Männerstimme.
»Paul?« Joanne schrak auf, fischte einen Bademantel aus dem begehbaren Schrank und schlüpfte schnell hinein, bevor ihr Mann an der Tür erschien. »Was machst du denn mitten am Nachmittag zu Hause? Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er sieht nicht gut aus, dachte sie, als sie ihn sanft auf die Wange küßte.
»Ich wollte mit Mr. Rogers sprechen«, sagte er und sah aus dem Fenster. »War er heute hier?«
»Nein, nur die Arbeiter. Obwohl … vielleicht war er doch hier – ich bin ein paar Stunden weggewesen. Eve und ich hatten eine Tennisstunde im Club. Ein neuer Trainer. Er scheint der Ansicht zu sein, daß ich ein Naturtalent bin, aber ich weiß nicht. Es ist schon so lange her, daß ich Tennis gespielt habe …« Was faselte sie da eigentlich? Warum war sie so nervös?
Sie betrachtete den Rücken ihres Mannes, der am Fenster stand und hinaussah. Irgend etwas an seiner Haltung, an der Neigung seines Kopfes, die sichtbare Verspanntheit seiner Schultern ließ ein ungutes Gefühl in ihr aufkommen. Er drehte sich zu ihr um, und der Ausdruck in seinem Gesicht gefiel ihr ganz und gar nicht.
»Was ist los?« fragte sie. Wenn sie nur dieses verdammte Heft aus ihren Gedanken verbannen könnte. »Ist irgend etwas mit dem Pool schiefgelaufen?« fragte sie, obwohl sie instinktiv wußte, daß es nicht um den Pool ging.
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich dachte nur, wenn Rogers hier ist, spreche ich mal kurz mit ihm. Nein, nein, das ist es nicht«, fuhr er fast im selben Atemzug fort. »Das ist nicht der Grund, weshalb ich so früh nach Hause gekommen bin. Nicht wegen des Pools. Wegen mir.«
»Wegen dir? Was ist denn los?« Sie fühlte Panik in sich aufsteigen. »Hast du wieder diese Schmerzen in der Brust?«
»Nein, nein«, versicherte er ihr hastig. »Nein, es ist etwas anderes.« Eine lange, unangenehme Pause folgte. »Ich muß
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