Ein Ort wie dieser
sich umdrehte. Der Mann verbeugte sich vor ihr: »Entschuldigen Sie, Mademoiselle, ich wollte Ihre zarten Ohren nicht schockieren.«
Céciles Wangen wurden feuerrot. Es bestätigte sich: Sie verabscheute Männer. Rasch ging sie zur Tür des Direktors und klopfte.
»Herein, herein, hatten Sie sich verirrt?«
Monsieur Montoriol war sportlich, um die fünfzig, mit gebräuntem Teint, grau werdendem Haar und verführerischem Blick. Cécile versuchte sich vorzustellen, wie er in seinen Schlafanzug schlüpfte. Leider kamen ihr die vergoldeten Eier in den Sinn, und sie stammelte: »Ja, nein, nein, ich …«
»Sehr gut, sehr gut«, flötete Monsieur Montoriol. »Ich zeige Ihnen Ihren Klassenraum. Hier entlang!«
Er wies ihr den Weg und streifte dabei ihre nackte Schulter. Er hatte das einzig Kokette an Cécile ausfindig gemacht, ein Trägershirt. Er heiße Georges, sagte er ihr, und er sei seit zwanzig Jahren an der Louis-Guilloux. »Das erstaunt Sie, was? Sie werden Madame Maillard ersetzen, auch eine, die lang dabei war. Ich hatte fürs neue Schuljahr mit ihr gerechnet. Und dann,
baff
…«
Er breitete die Arme aus. Cécile wagte nicht zu fragen, ob
baff
bedeutete, dass sie gestorben war.
Die Schüler der ersten Klasse hatten ein großes Klassenzimmer zur Verfügung, dessen hohe Fenster zum Hof hinausgingen. Über der Tafel hatte Madame Maillard ein uraltes ABC an die Wand gepinnt: A wie Apfel, B wie Ball, C wie Clown. Cécile machte ein paar Schritte auf die erste Reihe von kleinen Tischen zu, die an kleinen Bänken befestigt waren, und Monsieur Montoriol dachte – weiß Gott warum – an Schneewittchen und die sieben Zwerge.
»Also, das alles ist nicht mehr das Allerjüngste«, sagte er leicht amüsiert.
Auf einem Regal hatte er
Ki-Ki fährt Ski
neben
Familie Hase fährt Zug
entdeckt.
»Madame Maillard war noch von der alten Schule. Alle in Zweierreihe beim ersten Pfiff. In ihrer Klasse konnte man eine Stecknadel fallen hören. Aber die Eltern schätzten sie sehr!«
Und dann:
baff
, dachte Cécile.
»Es ist Ihre erste Stelle, nicht wahr?«
Er stand so nahe bei ihr, dass sie seinen Männergeruch wahrnahm, eine Mischung aus Eau de Toilette und Schweiß. Sie bekam weiche Knie und musste sich an einen Tisch lehnen.
»Der Anfang ist immer schwer. Aber ich bin da, um Ihnen zu helfen. Scheuen Sie sich nicht, sich mir anzuvertrauen.«
Cécile bekam keine Luft, als würde ihr der Kopf unter Wasser gedrückt.
»Ich gehe … in den Hof«, murmelte sie.
Sie entfloh so rasch, dass Monsieur Montoriol verdutzt zurückblieb. Als er sie erreicht hatte, klingelte das Telefon in seinem Büro.
»Ahh, ich muss … Entschuldigen Sie mich … Möchten Sie sich alles andere allein ansehen?«
»O ja!«, rief Cécile.
Es klingelte immer noch. Der Herr Direktor musste rennen.
»Auf Wiedersehen … Auf bald!«, rief er, immer noch freundlich.
Aber zu sich selbst sagte er leise: »Wenn sie einen Monat durchhält, habe ich Glück.«
Die Schule war altmodisch und abgenutzt, von den Tischen aus gelbem Resopal in der Kantine bis hin zu den Gymnastikmatten unter dem überdachten Teil des Schulhofs, die nach schwitzigen Füßen stanken. Als Cécile wieder das Gebäude betrat, entdeckte sie im Gang aufgehängte Namenlisten. Bestimmt die Schülernamen der Klassen des beginnenden Schuljahres. Sie verspürte das Bedürfnis, sich ein wenig mit den Vornamen ihrer künftigen Schüler zu beschäftigen.
Erste Klasse – Mademoiselle Barrois
Baoulé, Fête des Morts
Baoulé, Toussaint
Sie stand da mit offenem Mund.
Fête des Morts
und
Toussaint?
Allerseelen
und
Allerheiligen?
Wer nennt denn seine Kinder nach katholischen Feiertagen? Danach ging die Liste weiter mit den üblichen Toms, Vincents, Lisas und Audreys. Ihr Blick wechselte zum Blatt daneben.
Zweite Klasse – Madame Muller
Baoulé, Honorine
Baoulé, Leon
Baoulé, Victorine
Cécile lachte irritiert.
Dritte Klasse – Madame Pommier
Baoulé, Donatienne
Baoulé, Pélagie
Baoulé, Prudence
In der vierten Klasse gab es noch drei weitere Baoulés: Tiburce, Clotilde und Felix. Plus einen Alphonse Baoulé in der fünften. Wer mochte für so einen Streich verantwortlich sein? Cécile verließ die Schule und ließ das schwere Tor hinter sich zufallen. War es überhaupt ein Streich?
Auf der anderen Straßenseite stand das Paar und schien dort Wurzeln geschlagen zu haben. Der Mann redete heftig und attackierte mit den Gesten eines Karatekämpfers die Fassade
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