Saemtliche Werke von Jean Paul
ABELARD’S BRIEF’ AN WILHELM
Den 1. Mai.
Kaum hast du mich verlassen, Lieber! so folgt schon ein Brief. Ach lang’ hab’ ich dir nachgesehen, weinend nachgesehen, da wir an ienem Hügel uns schieden. Wie mir’s so warm um’s Herz ward! - Die Träne quol, da ich an deiner Seite gieng und dich vielleicht zum leztenmal umarmte. Die Tautropfen blinkerten hei, die Gegend lächelte hold, und die Sonne stralte sanft, da ich dir die Hand mit weggewandten Augen drukte - wehmütig dich ansah und schied. Ach Lieber! was ist ein Menschenleben one Freund! So kalt, so eng, so eigennüzzig! - Ich fült’ es wol, daß ich dich verlor - Verstört gieng ich nach Hause - ich hatt’ allerlei Empfindungen und Gedanken durcheinander - und empfand und dachte gerade nichts. Überal vermist’ ich dich. Ich möchte mich ganz in dein Herz schütten, ganz an deiner Seite meine Leiden, und meine Freuden dir mitteilen - aber Wilhelm ist nicht, nicht mer bei mir. Dafür schreib’ ich dir immer; und immer viel — Dies [?] war Prolog zu der Menge von Briefen, womit ich dich künftig überschütten wil.
den 6. Mai.
Die Phantasie wird oft unser Henker; aber auch oft zaubert sie uns Freuden, die nie wirklich sind, deren Genus aber alles übertrift. Ich bin ein Beispiel. Ich schweb’ iezt in Entzükkung, atm’ Himmelsluft und schlürfe mit vollen Zügen den Becher der Wollust aus. Ich sperre mich nicht ein - sondern Gottes milde Natur ist mein Aufenthalt. Ich steh’ früh auf; und meine erste Sorg’ ist, dem Orte, we ich wone, zu entfliehen. Hier empfang’ ich die Natur mit ofnen Armen, mit heitern Sinnen. Alles belebt mich. Alles reist mich hin zum Dank gegen den Urheber meines Lebens. Wenn die Sonne langsam am roten Horizont heraufsteigt und ihre Erde zur Freude befeuert - wenn die Nachtigal mit traurigen Tönen die Sele in Wonne schmilzt, wenn tausend Blümchen duften, tausend Vögel dem Gütigen singen, tausend und tausend Würmchen zur Freude geschaffen, unbemerkt hinschleichen - wenn ieder Tautropfen eine blinkende Sonne, und iede Sonne ein Spiegel dergötlichen Lieb’ ist - wenn ich Gottes Gegenwart, der sich im Gräschen und Zeder, in der Milb’ und dem Elephanten naht, so nahe, so lebhaft füle — dan dan sink’ ich, ich beuge die Knie und falte die Hände, und seh’ hoch hinauf zu ihm, zu diesem Guten, diesem Vater. Ich kan dan nicht reden; aber weinen, seufzen kan ich. Eine Träne drängt die andre. - Nichts erwekt mich hier aus meinen süssen Träumen. Kein Pedant - der mich mit unnüzzen, kalten Wissenschaften folterte: kein Vater - dessen Streng’ ich fürchten dürfte. Ich liebe die Wissenschaften, aber nur einige sind für mich, und ich dank’s Got, daß sie’s sind. Ich lerne das, was ich lernen wil; denn warum solt’ ich in einer Sache weiter zu kommen suchen, deren Andenken meiner Sele schon verhast ist? -
Ich gehe mit Menschen um, die mich nie beleidigen; - und wenn sie mich beleidigen, vergeb’ ich. Ser leicht find’ ich einen Grund, der ihr Verhalten gegen mich entschuldigt. Ist’s nicht eine Freude, in so einer Welt zu leben! Überal bin ich warm, allem steht mein Herz offen! Die Welt scheint mir ein Elysium; und ich wundre mich, wie man hat ein Jammertal daraus machen können. Möcht’ ich ewig so mein Leben verträumen! Aber - aber - ach die Täuschung verliert sich einmal: ich zitre!
den 20 Mai.
O unbeständiges Herz! Heute läst du mich lachen, und morgen weinen. Vergleich’ meinen lezten und diesen Brief mit einander - — und du wirst den Unbeständigen ganz darinnen entdekken. Bald seh’ ich, vol Wonnegefüls, alles in Freude, alles im Junius; - — bald faltet düstre Schwermut meine Stirne, und innerer Gram zernagt alle Keime der Freude. Ich bin iezt wehmütig - ein Wort, das mir soviel ausdrükt. Ich spazziere bis Abends; bis der Mond schimmert. Ach und dan fül’ ich ein so ungewontes Senen in meinem Herzen - einen so innern Drang, Tränen zu weinen. Ich bin so vol, und doch so ler. Bis an ienes melancholische Dunkel ienes Wäldchen geh’ ich abends. Die Bäume säuseln Wehmut in mein Herz hinein - Amseln und Nachtigallen schlagen laut - Landleute begeben sich, des Tages Last müde, nach Haus. Almälig stralet die Sonne röter: almälig entsteigt der graue Nebel der dürren Erde - almälig verdunkelt sich’s um mich. Alles schweigt-Ich bin wie ein Träumender dan. Endlich blinken hie und da einzelne Stern’ in iener blauen Tief’ und am grauen Hügel steigt
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