Ein perfekter Freund
er geplatzt war.
Fabio stellte den Eimer in den Garten. Gemeinsam begannen sie damit, das Gourrama einigermaßen in Ordnung zu bringen.
Später, während sich Fabio den Computer vornahm, ging Norina in den Garten. Sie wollte für Lucas' Onkel ein paar Zwetschgen pflücken und vielleicht auch ein paar Brombeeren. Der Himmel sah wieder einmal aus, als ob er sich jeden Moment ausgießen wollte.
Fabio beobachtete sie vom Fenster aus. Norina stand unter dem Zwetschgenbaum und bewegte sich in Zeitlupe. Sie legte den Kopf in den Nacken, blickte suchend ins Geäst, streckte den Arm aus, griff sich eine Frucht, winkelte den Arm an und ließ die Hand in den Korb sinken. Anmutig wie eine Tempeltänzerin. Ihre Bewegungen waren viel graziöser als alles, was er im Tai Chi je gesehen hatte. Erst nach ein paar Minuten erkannte er den Grund ihrer Langsamkeit: Sie wollte die Wespen nicht mit brüsken Bewegungen in Rage bringen.
Fabio startete Lucas' Computer. Etwas Merkwürdiges geschah: Eine Melodie ertönte, und in einem Dialogfenster wurde er als neuer Benutzer willkommen geheißen und aufgefordert, die folgenden Schritte durchzuführen.
Lucas' Computer wollte die Benutzerangaben für ein neues Betriebssystem. Etwas, das nur bei fabrikneuen Geräten nötig ist. Oder solchen, die neu installiert worden waren.
Fabio befolgte die nötigen Schritte und hatte bald Gewißheit: Jemand hatte alle Daten von der Festplatte gelöscht und das Betriebssystem neu installiert. Vielleicht Lucas. Oder wer sonst?
Es fiel ihm nur Duliman Boswell ein. Und seine manchmal etwas kindischen Leute.
Ein plötzlicher Luftzug schlug die Tür zu. Fabio erschrak. Der Wind zerrte an den Bäumen. Norina stand nicht mehr unter dem Zwetschgenbaum.
Er schloß das Fenster und trat auf die Veranda. In der Ferne lag die Stadt noch in der Sonne. Aber schwarze Wolkentanker trieben rasch auf sie zu. Norina war bei den Brombeeren gewesen und kam jetzt auf das Häuschen zu. In der Linken einen Korb, in der Rechten einen kleinen Milcheimer. Der Wind blies ihr die Fransen aus der Stirn und klebte ihr die Bluse an den Körper. Fabio ging ihr entgegen und na hm ihr die Sachen ab.
»Gibt der Computer etwas her?« fragte sie, als sie sich ins Haus geflüchtet hatten.
Fabio erklärte ihr, was er herausgefunden hatte.
»Ich dachte, man könnte auch auf einer gelöschten Festplatte Daten rekonstruieren. Sie sind noch da. Man muß nur den Zugang zu ihnen finden.«
»Das sagt mein Neuropsychologe auch immer.«
Sie saßen am Tisch und schauten zu, wie der Wind mit der Gartenbaugenossenschaft Waldfrieden seine Spaße trieb. Der Regen ließ auf sich warten. Aber weiter im Westen fiel er grau und senkrecht aus einer Wolke, wie aus einem Brausekopf.
Der Moment war wie geschaffen für ein unangenehmes Gespräch.
Aber es konnte auch noch ein wenig warten.
Fabio leerte den Inhalt der ersten Archivschachtel auf den Tisch. Nichts, was aussah wie die Aufzeichnungen eines Forschers. Ein etwa dreißig Seiten starkes, mehrfach redigiertes Manuskript einer unfertigen Erzählung mit dem Titel »Endlich«. Verschiedene Gedichtanfänge, Vierzeiler, Songfragmente. Offenbar die Sammlung von Lucas' privaten Schreibversuchen. Dabei ein paar Gegenstände, die ihm etwas bedeutet hatten: eine unbenutzbare Füllfeder; ein paar kleine, sehr gewöhnliche Muscheln; ein Schlüsselanhänger mit dem Wappen von Innsbruck; ein paar in einer Frauenhandschrift adressierte Luftpostumschläge, deren Inhalt sie unberührt ließen. Sie packten die Sachen wieder in die Schachtel zurück.
Der Inhalt der nächsten Schachtel kam Fabio bekannt vor. Es enthielt Lehrmaterial aus der Journalistenschule. Fabio hatte seines längst weggeschmissen. Das von Lucas hingegen war voller Hervorhebungen mit verschiedenfarbigen Leuchtstiften.
Die beiden übrigen Archivschachteln waren mit »Interviews und Recherchen« beschriftet. Sie enthielten Stenoblöcke, wie auch Fabio sie benutzte. Die meisten wurden durch ein Gummiband mit einer Tonkassette zusammengehalten. Alle trugen Titel und Daten.
Der Wind hatte etwas nachgelassen. Über der Stadt flackerten Blitze auf. Mit großer Verspätung war das Donnergrollen zu hören. Fabio und Norina saßen am Tisch über Lucas' Aufze ichnungen gebeugt, wie zwei Kinder über ihre Weihnachtsbasteleien.
Norina hatte den Korb mit den überreifen Zwetschgen neben der Sitzbank auf den Boden gestellt. Ein Duft von vergärendem Obst stieg Fabio in die Nase.
Plötzlich lag alles vor ihm,
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