Ein Schlag ins Herz
gekommen.
Sandrine trat neben ihn und schaute auf die Landschaft.
»Einzigartig«, seufzte sie.
»Hier weiß ich, wer ich bin. Ich kann es im Wind hören.«
Patrik wandte sich Sandrine zu. »Hörst du es?«
Sie sah ihn ernst an, und der Wind ließ ihr langes, dunkles Haar flattern.
»Ich höre es«, sagte sie lächelnd.
»Ich bin froh, dass ich dir das zeigen darf.«
Sie drehten sich um und kehrten zu den beiden Polizisten zurück, die auf sie warteten. Gemeinsam stiegen sie den Felsen hinab und setzten den Weg durch den stillen Wald fort, vorbei an alten, bemoosten Baumstämmen. Sandrine ging noch langsam, aber ihre Genesung machte große Fortschritte.
Auf der Forststraße stand das Zivilfahrzeug der Polizei, mit dem sie gekommen waren. Daneben war ein weiteres Auto aufgetaucht. Ein Mann in Lederjacke stieg aus.
Patrik konnte sich dunkel erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.
Der Mann nickte zur Begrüßung. Da erkannte Patrik ihn. Er war an Bord des Marineboots gewesen, das den Atommüllbehälter von der
Sigyn
übernommen hatte.
Der Mann stellte sich als Timo Nortamo vor.
»Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie uns den Besuch hier ermöglicht haben«, sagte Patrik.
»Ich werde den Dank an die Polizeiführung in Helsinki weitergeben. Ich habe noch immer gute Verbindungen dorthin, obwohl man mich von den Ermittlungen abgezogen hat. Der offizielle Grund sind die Vorfälle im Helsinkier Hafen.«
»Sie haben die Lage falsch eingeschätzt, und dadurch sind Menschen ums Leben gekommen. Ich hatte alles versucht, um einen Angriff zu verhindern«, sagte Patrik.»Aber mein Anwalt meint, vor Gericht sei das schwer zu belegen, aus Mangel an Beweisen.«
»Ich bin genauso getäuscht worden wie Sie beide. Die Informationen, die uns Ihre Mutter gegeben hat, stützen die These, dass Sie für eine medial wirksame Aktion auf die
Sigyn
gelockt wurden, und nicht, um sich an einer Entführung zu beteiligen.«
Patrik hatte seine Mutter getroffen und von Jürgen Gladbach erfahren. Seine Mutter wiederzusehen war ein schmerzliches und zugleich bereinigendes Erlebnis gewesen. Dass er sie plötzlich nach all den Jahren hatte treffen wollen, lag an den Ereignissen in Afghanistan; als er gesehen hatte, wie Hermans Sohn seinen Vater flehend anschaute, hatte er sich lebendiger und quälender als je zuvor an den schmerzhaftesten Augenblick seiner Kindheit erinnert – an den Moment, in dem sein Vater ihn und seine Mutter verlassen hatte und mit einer anderen Frau fortgeganen war. Ein solches Erlebnis konnte ein kleiner Junge schwer verkraften. Er hatte seiner Mutter den Weggang des Vaters zum Vorwurf gemacht, systematisch und lange. Er hatte ihr keine Chance gegeben. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, war die Mutter in Depressionen verfallen und hatte angefangen zu trinken, und schließlich hatte sie sich an Dietrich geklammert, den Deutschen.
»Ein Vertreter der USA hat mich daran gehindert, den Zugriff im Hafen zu stoppen«, erklärte Nortamo weiter. »Tatsächlich wurde ich jedoch kaltgestellt, weil ich verlangt habe, Ihre Behauptungen über Unregelmäßigkeiten bei der Tiefenbestimmung des Endlagerschachts zu überprüfen.«
»Ich hatte gedacht, nach der Radioübertragung würde eine echte Diskussion über das Thema in Gang kommen. Aber die dramatischen Ereignisse im Verlauf der Entführunghaben die gesamte Aufmerksamkeit der Medien beansprucht.«
»Man hat bewusst dafür gesorgt, dass dies so war. Ihre Behauptung wurde totgeschwiegen.«
»Ich stehe nach wie vor hinter meiner Behauptung. Man wollte den Schätzwert für die Permafrosttiefe so niedrig wie möglich haben. Man dachte nicht an die saubere Natur der künftigen zig und hundert Generationen, sondern an den Gewinn diverser Unternehmen in den kommenden Jahren.«
»Ich glaube Ihnen«, sagte Nortamo und wandte sich an Sandrine.
»Sie werden das offiziell erst vor Gericht in Schweden hören, aber ich habe von meinen Kollegen erfahren, dass sie eine Nachricht von Herman McQuinn erhalten haben. Darin schildert McQuinn detailliert, wie die Entführungsaktion ablief. Er nimmt alle Schuld von Ihnen. Das wird sich vor Gericht zumindest nicht nachteilig auswirken.«
»Danke für die Information«, sagte Sandrine. »Ich hätte aber noch eine Frage, auf die es vermutlich schwer ist, eine kompetente Antwort zu erhalten. Ich möchte fragen, ob Patrik und ich in Sicherheit sind.«
Nortamo überlegte eine Weile. »Mit der Zerstörung der Kapsel hat sich auch ihre politische
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