Denn ewig lebt die Liebe
In den Straßen herrschte geschäftiges Treiben. Es war Freitagnachmittag und viele Arbeitnehmer hatten bereits Feierabend. Im letzten Moment kauften manche noch fürs Wochenende ein, um dann wenigstens zwei Tage ganz in Ruhe zuhause verbringen zu können.
Ein einsamer Mann schlenderte am Ufer des Neckars entlang. Er hatte die Hände in den tiefen Taschen seiner warmen Flanelljacke vergraben und hielt den Kopf gesenkt. Nur hin und wieder blickte er hoch, betrachtete gedankenverloren die Umgebung, um sich dann wieder seinen Erinnerungen hinzugeben.
Unter jedem seiner Schritte knirschte es leise. Das vertraute Geräusch wurde von dem Rauschen des Wassers überdeckt, in dem sich die Häuser auf der anderen Seite des Flusses verzerrt spiegelte. In der Ferne konnte er eine der Brücken erkennen, die sich in einem weiten Bogen über den Neckar spannte.
Eine gute Stunde noch, dann würde der Berufsverkehr aufhören und die freitagabendliche Gemütlichkeit einkehren, überlegte der junge Arzt und ließ dann seine Gedanken wieder in die Vergangenheit wandern.
Wie oft war er mit Simone diesen Weg gegangen?
Hundertmal - oder noch öfter?
Er wußte es nicht. In all den Jahren hatte er aufgehört, die glücklichen Begebenheiten zu zählen. Doch es waren viele gewesen. Überhaupt hatte er in dem Leben, das er an der Seite seiner Frau hatte verbringen dürfen, nichts vermißt. Im Gegenteil. Er hatte sich manches Mal so reich beschenkt gefühlt, dass er stets fürchtete, irgendwann mal unsanft aus seinen Träumen aufgeweckt zu werden.
Als er Simone damals, vor über sechzehn Jahren, an dem Krankenhaus kennengelernt hatte, wo er seine Assistentenzeit absolvierte, war er überzeugt gewesen, für alle Zeit das Glück gepachtet zu haben. Simone, süße neunzehn Jahre alt, war fast fertig mit der Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Gleich nach ihrem Abschluß hatten sie geheiratet. Kaum ein Jahr später wurde Tochter Natja geboren und vor drei Jahren Tanja, das Nesthäkchen.
Auf dem Höhepunkt des Glücks war der Schlag um so härter gewesen, der die Arztfamilie getroffen hatte. Simone war schwer krank geworden, es hatte keine Hilfe mehr für sie gegeben. Vor einem halben Jahr war sie gestorben und hatte einen verzweifelten Mann und zwei unglückliche Kinder zurückgelassen.
Zwar hatte Dr. med. Alexander Hofmann versucht, mit all seinen Kräften den beiden Mädchen die Freude zurückzugeben, doch diese Kräfte waren leider sehr beschränkt. Er hätte selbst Hilfe gebraucht, denn ein Leben ohne Simone war für ihn damals und auch heute undenkbar.
Für einige Zeit war Gerlinde, die Schwester der Verstorbenen, bei den Verwandten eingezogen und hatte versucht, der so grausam zerrissenen Familie ein bißchen Halt und Nestwärme zu geben. Doch vor allem ihr Schwager Alexander war gegen jede Form des Trostes regelrecht immun gewesen. Er blockte jedes Gespräch ab, wollte mit seinem Kummer allein sein. Doch er war froh, dass die Schwägerin zumindest die ersten Wochen für die Mädchen da war und er Zeit hatte, sein weiteres Leben zu ordnen, soweit das überhaupt noch möglich war.
Oft ging er auf den alten Friedhof, um wenigstens auf diese Weise seiner geliebten Frau ein bißchen näher zu sein, doch bald spürte er auch da nur noch Einsamkeit und kein bißchen Trost. Er wußte, dass er weg musste von hier, so weit wie möglich. Alles in Heidelberg erinnerte ihn an vergangene Zeiten und gab ihm keine Chance, ein wenig Abstand zu gewinnen.
Nach vielen schlaflosen Nächten stand sein Entschluß fest. Er wollte irgendwo ein neues Leben beginnen, weit weg von der Stadt, die er als Heimat gewonnen und auch wieder verloren hatte. Selbst Gerlindes vorsichtige Proteste hatten nichts gebracht, er war für kein Argument zugänglich gewesen.
Gerlinde war deshalb ziemlich traurig gewesen, denn sie hatte sich trotz der Trauer um die einzige Schwester auf einmal wohl gefühlt, geborgen in einer richtigen Familie, die sie selbst nicht hatte. Nur zu gern hätte sie Simones Platz eingenommen, als Mutter für die beiden Mädchen und auch als Ehefrau an der Seite eines gut aussehenden Mannes. Alexander hatte es schon gemerkt, und doch oder vielleicht auch gerade deshalb gab es für ihn keinen anderen Ausweg als die Flucht nach vorne. Er mochte Gerlinde, doch eine andere Frau an Simones Platz zu sehen hätte er nicht ertragen, auch nicht, wenn dies ihre eigene Schwester gewesen wäre.
Ganz in Gedanken versunken war Alexander an Simones
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