Ein Schöner Ort Zum Sterben
dazugehört und sich unter Freunden befunden hatte. Sie hatten sich zueinander hingezogen gefühlt. Vielleicht hatte sie Mitleid mit ihm gehabt. Für ihn war sie das wunderschönste Wesen gewesen, das er jemals gesehen hatte. Ihre Hochzeit war ihm wie die Erfüllung all seiner Träume erschienen. Und als Katie geboren wurde, war es das Sahnetüpfelchen auf dem Kuchen gewesen. Von diesem Tag an war es immer nur bergab gegangen. Wie bei so vielen anderen unglücklichen Paaren, so war auch bei ihnen ihr Kind seit langem das Einzige, was sie noch aneinander band. Doch selbst über Katies Erziehung gingen ihre Ansichten auseinander. Adeline wollte Katie nach dem Schulabschluss im Sommer für ein Jahr nach Paris schicken, um sie auf das Erwachsenenleben vorzubereiten. Er missbilligte diesen dummen Plan, den seine Frau und ihre französische Freundin Mireille ausgebrütet hatten, und er hasste die Vorstellung, dass seine kleine Katie in die Fänge dieser beutegierigen Französin geriet, die in seiner Tochter ohne jeden Zweifel eine angemessene Partie für ihren Tunichtgut von Sohn sah. Doch Adeline war taub für jeden seiner Einwände. Katie würde nach Frankreich verfrachtet werden, gegen ihren eigenen Willen und gegen seinen. Und er? Er würde allein mit Adeline zurückbleiben. Die Aussicht war albtraumhaft. Unerträglich. Warum verschwinde ich nicht einfach?, fragte er sich. Warum lasse ich mich nicht von ihr scheiden, oder sie sich von mir? Sie würde es nicht tun. Adeline klammerte sich an ihn wie eine Ranke, oder genauer: wie giftiger Efeu! Und in ihrem Zustand konnte er sie auch nicht verlassen. Sie schwebte nun schon seit Jahren dicht vor dem Abgrund. Es würde nicht viel erfordern, sie über die Kante zu stoßen, hinein ins mentale Chaos. Er saß in der Falle. Genau in diesem Augenblick, wie um seine zum Zerreißen angespannten Nerven noch weiter zu dehnen, ertönte hinter ihm in der Dunkelheit lautes Quieken und Kreischen. Matthew verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Wenn er diese elenden Mistviecher doch nur irgendwie loswerden könnte! Düster raste er in seiner Limousine über den Weg und auf die Straße nach dem kleinen Städtchen Bamford hinaus, um sein einziges Kind nach Hause zu holen.
»Also schön, alles hinsetzen!«, rief Vater Holland.
Der Lärm im Kirchensaal hielt unvermindert an. Während des Diavortrags waren sie unter Kontrolle gewesen, doch jetzt, nachdem die Beleuchtung wieder angegangen war, fühlte sich das Publikum aus seiner ungewohnten Immobilität entlassen. Stühle wurden gerückt, und Stimmen stritten lauthals. Auf der anderen Seite des Tisches, wo Mrs. Pride in einer rosa karierten Kittelschürze bemüht war, Orangenlimonade in Plastikbechern halbwegs zivilisiert auszuteilen, herrschte reges Gedränge. Die Auswahl selbst gebackener Kuchen, den ihr Damenkränzchen gespendet hatte, war längst verschwunden, von gierigen Fingern innerhalb weniger Minuten weggezaubert.
»Ruhe!«, donnerte Vater Holland. Fast wurde es still. Der Mob wandte sich ihm zu, und so ein
Mob besitzt nur wenige gewinnende Züge, dachte Meredith Mitchell. Sie empfand das jugendliche Ungestüm der Anwesenden sowohl als arrogant wie auch als ignorant, eine unverschämte Herausforderung gegen jedwede Autorität. Während Merediths Vortrag hatten sie ununterbrochen gekichert, gezappelt und mit Süßigkeitenpapierchen geknistert. Möglich, dass Meredith unfair war. Sie grub ein paar vage Erinnerungen an ihre eigene Pubertät aus, mit all den Qualen, die man an Leib und Seele auszustehen hatte. Es war tatsächlich ein elendes Geschäft, das Erwachsenwerden. Die Hormone machten einem das Leben zur Hölle, und man wusste beim besten Willen nicht, was man eigentlich wollte, nur das, was man auf gar keinen Fall wollte, das aber dafür mit umso leidenschaftlicherer Bestimmtheit.
»Also schön.« Der Vikar wurde allmählich heiser.
»Ich bin sicher, wir alle sind Meredith sehr dankbar, dass sie dem Jugendclub heute Abend ihre kostbare Zeit zur Verfügung gestellt und interessante Dias von ihren Reisen gezeigt hat. Was haltet ihr von einer Runde Applaus, um eure Dankbarkeit zu zeigen?«
Pflichtergeben klatschten sie Beifall, und aus dem hinteren Teil des Saals kam der eine oder andere anerkennende Ruf – mit ironischem Unterton.
»Danke sehr!«, rief Meredith über den Tumult hinweg.
»Es … es war mir ein Vergnügen.« Insgeheim hatte sie bereits beschlossen:
»Nie wieder!«
Zwei Jugendliche näherten sich ihr,
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