Ein Schöner Ort Zum Sterben
wirren Gehabe passte ausgezeichnet in diese Umgebung. Wie hätte es auch anders sein sollen – schließlich war sie hier aufgewachsen, in diesem alten Haus, dem Heim ihrer Familie. So unfähig Adeline in vielerlei Hinsicht auch sein mochte – das galt nicht in Angelegenheiten, die Park House betrafen, das unstrittig ihr Haus war, im wörtlichen wie im übertragenen, moralischen Sinne. Daher das irrsinnige Heizen in diesem Zimmer. Daher die Weigerung, die Maler kommen zu lassen oder andere Fremde, um neue Vorhänge oder Teppiche auszumessen. Und letztendlich war das auch der Grund, warum es unmöglich war, sie aus dem Haus zu locken, ganz gleich, wie sehr er sich bemühte …
Matthews Blick fiel auf einen kleinen Tisch in der Ecke, der übersät war mit gerahmten Fotografien, darunter ein Bild seiner Tochter als Baby auf dem Schoß seiner Mutter. Er musste nur von dort zu dem großen Porträt an der Wand sehen, um zu erkennen, wie früh die physische und mentale Degeneration seiner Frau angefangen hatte. Auf dem Ölgemälde war Adeline eine wunderschöne lächelnde junge Frau von achtzehn Jahren, mit gelocktem kastanienbraunen Haar und warmen dunklen Augen. Die junge Mutter auf dem Porträt starrte den Fotografen mit einem gehetzten Blick an und umklammerte das Baby auf ihrem Schoß. Wann immer Matthew diese beiden Bilder verglich, wie er es häufig unwillkürlich tat, kehrte die alte, quälende Frage zurück: Ist das alles meine Schuld? Habe ich sie zerstört? Und mit den Schuldgefühlen kam der Groll, der Groll darüber, dass sie diese Gefühle in ihm verursachte.
Matthew musterte seine Frau verstohlen. Sie hatte im Verlauf des letzten Jahres noch mehr an Gewicht verloren. Unter ihrer Kleidung bestand sie wahrscheinlich nur noch aus Haut und Knochen – doch es war lange Zeit her, dass er sie anders als vollständig angezogen gesehen hatte.
Laut sagte er:
»In fünf Minuten fahre ich Katie holen. Soll ich Prue Bescheid sagen?«
Adelines Gesicht zuckte.
»Sie sollte so spät nicht noch draußen sein, nach Einbruch der Dunkelheit! Es ist viel zu gefährlich! Ich wünschte, Katie würde nicht immer wieder zu diesem Jugendclub gehen. Ich wünschte, sie würde überhaupt nicht nach Bamford gehen! Sie lernt die falschen jungen Menschen kennen. Sie hat ja keine Ahnung … sie ist so unschuldig. Die anderen Jugendlichen, sie sind wie … wie junge Wilde!«
»Ich bin sicher, dass Vater Holland ein strenges Auge auf seinen Jugendclub hat.«
»In ihrem Alter hatte ich längst nicht so viele Freiheiten! Meine Eltern hätten mir niemals erlaubt, mit diesem Gesindel zu verkehren.« Fast hätte er laut aufgelacht. Adelines Eltern hatten schließlich nicht verhindern können, dass ihre Tochter jemanden heiratete, der in ihren Augen Gesindel war.
»Die Zeiten ändern sich, Addy. Gib Katie wenigstens die Chance, ein normales Leben zu führen! Nächsten Sommer bekommst du deinen Willen, wenn sie nach Frankreich zu Mireille geht.« Er gab sich alle Mühe, die Bitterkeit aus seiner Stimme zu halten, doch es gelang ihm nicht. Wäre es nach seiner Frau gegangen, dann hätte sie das Kind am liebsten in einen goldenen Käfig gesperrt, ohne die Gefahren zu sehen, die daraus erwuchsen. Soll Katie doch ausgehen und sich mit anderen Jugendlichen treffen. Soll sie doch lernen, wie die Wirklichkeit aussieht. Das war sein Wunsch gewesen. Alles war besser, als aufzuwachsen wie ihre Mutter! Es war schmerzvoll genug, dass seine Tochter überhaupt groß werden musste. Adeline war zu ihrem Sessel am Feuer zurückgekehrt. Sam, der Kater, setzte sich auf und reckte den Hals, um zu sehen, ob auf ihrem Schoß noch ein Plätzchen für ihn frei wäre, doch sie hatte ihren runden Stickrahmen aufgenommen und zupfte nervös an der halbfertigen Arbeit. Matthew fragte sich abwesend, was es werden sollte – wahrscheinlich ein Tablettdeckchen oder irgendein anderes nutzloses Ding. Doch Adeline war Expertin mit Nadel und Faden, und die malvenfarbenen Gänseblümchen und grün schattierten Blätter waren wundervoll gearbeitet. Sie durchbrach die verlegene Stille und sagte:
»Ja. Katie muss zu Mireille.« Er verspürte keine Lust zu streiten. Außerdem war nicht mehr genug Zeit.
»Du bist müde, Addy. Ich gebe Prue auf dem Weg nach draußen Bescheid.« Sie antwortete nicht, und er erhob sich und beugte sich über sie.
»Du liegst sicherlich bereits im Bett, wenn Katie und ich zurück sind, also sage ich dir lieber jetzt gute Nacht.« Er küsste sie auf
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