Ein schwarzer Vogel
Dieb! Lügner!« schimpfte
plötzlich eine krächzende, höhnische Stimme.
Sharples zuckte bei dem
unheimlichen Geschrei, das die Grabesstille des Hauses unterbrach, erschrocken
zusammen.
»Diese verdammte Krähe«, sagte
er, nachdem er sich wieder gefaßt hatte. »Man sollte diesem widerwärtigen Vieh
den Hals umdrehen. Ich würde mir so was nicht als Haustier halten.«
Oben angekommen, ging Sharples
durch eine geöffnete Tür in die Glasveranda. Ich hörte Flügelschlagen und ein
rauhes, heiseres Krächzen. Eine schwarze Krähe flog dicht an der Tür vorbei und
verschwand gleich wieder aus meinem Blickfeld, aber ich hörte das schwere
Schlagen ihrer kräftigen Schwingen und ihr widerliches Krächzen.
Sharples trat einen Schritt in
das Zimmer und blieb dann wie angewurzelt stehen. »Mein Gott«, entfuhr es ihm.
Ich trat an seine Seite. Im
Türrahmen sah ich vor mir auf dem Boden die Füße und einen Teil der Beine eines
Mannes. Sharples wich zur Seite, und nun sah ich den ganzen Körper. Vor mir lag
der Mann, der vor ein paar Stunden aus Jarratts Büro gekommen war. Ein rotes
Rinnsal war von seinem Rücken herabgesickert und hatte eine Lache auf dem
Teppich gebildet. Mit der linken Hand hielt er den Telefonhörer umklammert; der
Apparat selbst baumelte vom Tisch herab.
»Großer Gott«, sagte Sharples
wieder.
Sein Gesicht war weiß bis auf
die Lippen, und während ich ihn ansah, begann sein Mund sich zu verziehen und
zu beben. Er spürte seine Schwäche und versuchte vergeblich, sie zu
unterdrücken.
»Ist das Cameron?« fragte ich.
Sharples drehte sich um und
ging zur Treppe zurück, wo er sich plötzlich auf die oberste Stufe
niedersetzte.
»Es ist Cameron«, stöhnte er.
»Können Sie nicht nachsehen, ob Sie etwas zu trinken finden, ich... ich
fürchte, mir wird schlecht.«
»Beugen Sie den Kopf zwischen
Ihre Knie und bleiben Sie so sitzen. Dann wird Ihr Gehirn besser durchblutet.
Werden Sie jetzt bloß nicht ohnmächtig.«
Sharples beugte seinen Kopf
hinunter, wie ich ihm geraten hatte. Ich hörte ihn tief Luft holen. Ein
schluchzender Laut stieg aus seiner Kehle, als er tief einatmete.
Ich ging zur Tür des Zimmers,
in dem Cameron am Boden lag, zurück.
Offensichtlich hatte der Mann
an dem langen Schreibtisch gesessen, als der Tod ihn ereilte. Er war zu Boden
gefallen und hatte das Telefon mit sich gerissen. Natürlich konnte der Hörer
ihm auch in die Hand gedrückt worden sein, nachdem er schon tot war. Auf dem
Tisch lagen ein paar Briefe. Der Stuhl, auf dem Cameron offenbar gesessen
hatte, war umgeworfen worden und lag auf der Seite. Die Krähe war in das Zimmer
zurückgeflogen. Sie saß auf dem Kronleuchter und sah mich, den Kopf zur Seite
geneigt, mit schwarzen, vorstehenden, frechen Augen an.
»Dieb« krächzte sie.
Sie breitete die Flügel halb
aus und gab ein seltsam heiseres Kichern von sich.
In einer Ecke des Raumes stand
ein Stahlkäfig — ein Riesending, das für einen Adler groß genug gewesen wäre.
Seine Tür wurde durch einen Draht am Gitter offengehalten.
Mein Blick wurde von einem matt
golden schimmernden Gegenstand auf dem Tisch angezogen. Ich trat näher, um ihn
zu betrachten. Es war ein Kollier — anscheinend das gleiche, das Sharples mir
aufgezeichnet hatte. Aber die Fassungen waren aufgebogen, und in dem Kollier
befand I sich kein einziger Smaragd mehr.
Daneben lag eine automatische
Pistole, Kaliber 22, und auf dem Boden blinkte eine leere Patronenhülse. Ich
beugte mich vor und roch an der Mündung der Pistole. Sie war erst vor kurzem
abgeschossen worden.
Dann wurde mein Blick durch ein
tiefgrünes Leuchten angezogen: ein intensives, sattes Grün, das mich an eine
von Korallenriffen umschlossene tiefe Lagune erinnerte. Es war ein großer
Smaragd von einmaliger Schönheit.
Ferner lagen auf dem Tisch ein
paar helle schweinslederne Handschuhe, die dem Toten zu gehören schienen. Als
ich ihn aus Jarratts Büro kommen sah, hatte er solche Handschuhe getragen. Die
Todesursache war unverkennbar. Cameron war direkt neben dem linken
Schulterblatt ein Dolch bis ins Herz gestoßen worden. Den Dolch konnte ich
nicht entdecken.
Ich ging wieder zu Sharples
hinaus, der noch immer auf der Treppe saß und stöhnend hin und her schwankte.
»Was soll ich nur tun?« fragte
er, als ich ihm die Hand auf die Schulter legte.
»Sie haben zwei Möglichkeiten.«
Mit trüben Augen starrte er
mich an. Sein Gesicht war verfallen und schien alle Elastizität verloren zu
haben. Wenn ich mit
Weitere Kostenlose Bücher