Ein Strandkorb für Oma
nützt mir gar nichts!
Einige deutliche Indizien sprechen dafür, dass Oma das «Friesische Mädchen» von 1940 gestohlen hat, und das ist noch zurückhaltend ausgedrückt.
Was könnte sie zu so einer Tat getrieben haben? Und dann dieser irre Erpresserbrief!
Ich fürchte, es gibt nur eine plausible Antwort darauf, auch wenn ich die lieber verdrängen würde: Unsere geliebte Oma baut ab.
Ihr Schwächeanfall auf dem Friedhof, ihre Vergesslichkeit und nun das Bild. Wahrscheinlich hat sie sich darauf erkannt und sich für die rechtmäßige Besitzerin gehalten. Endlich hielt sie das Bild in den Händen, das sie nie gesehen und an das sie all die Jahre gedacht hatte.
Für die Polizei wäre Friederikes Videoaufzeichnung von Omas Flucht aus dem Fenster ein gefundenes Fressen. Tobias würde sie in die Mangel nehmen und nicht lockerlassen, was ihren Zustand vermutlich drastisch verschlechtern würde. Oma wäre fällig, und Maria würde von der Insel versetzt werden!
Ich will heute Abend nur noch unter einer Decke liegen und mich tot stellen.
Ob ich in vier Wochen noch mit Maria auf Föhr lebe?
Keine Ahnung!
Für mich erscheint nicht mal sicher, ob wir unsere Postleitzahlen behalten.
Mir bleibt immerhin der Pinot noir, laut Weinhändler ein Jahrgang mit sensationellem Abgang. Letzteren kann ich leider nicht bestätigen, denn die ersten Schlucke trinke ich direkt aus der Flasche.
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6. Roter Punkt in grüner Marsch
Maria und ich haben ganz eng beieinander auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen, wie Akkus, die in einer Steckdose aufgeladen werden. Da Jade bei Oma übernachtet hat, hätten wir auch ins Schlafzimmer wechseln können, aber dazu waren wir zu faul. Leider habe ich Maria nur im Halbschlaf mitbekommen, denn sie kam erst weit nach Mitternacht und ist um sechs schon wieder zum Dienst abgehauen. Die Fahndung läuft auf Hochtouren, ich kann nur noch beten.
Bloß wofür?
Dass Maria den Fall löst und auf der Insel bleiben kann? Und wenn Oma dabei verhaftet wird? Soll ich Maria die DVD verschweigen oder ihr die Wahrheit sagen?
Ich sollte erst einmal in aller Ruhe mit Oma reden, bevor ich sonst was in Gang setze. Aber wann und wie?
Ich mache ja schließlich keinen Urlaub auf Föhr, ich muss dringend arbeiten! Mein Dispo-Kredit ist fast ausgereizt, ich brauche frisches Geld auf meinem Konto, das kann ich nicht mehr verschieben.
In Hamburg habe ich jahrelang bei einer Event-Agentur gearbeitet, bis ich dort gefeuert wurde. Als ich zu Maria nach Föhr zog, habe ich erst einmal bei der «Föhr-Touristik» eine befristete Halbtagsstelle bekommen. Vor einiger Zeit bin ich «outgesourct» worden. Im Klartext heißt das, ich bin selbständig und arbeite auf eigenes Risiko. Mein neuester Plan ist es, eines der ehrgeizigsten Projekte aus der Bibel zu kopieren: die Arche Noah. Anders als Noah muss ich sie zum Glück nicht selber bauen, es gibt sie bereits: die Autofähre «Uthlande», die uns heute Morgen auf die Insel gebracht hat. Ich will Pensionen, Gemeinden und Betriebe der Insel mit eigenen Ständen auf dieses Schiff laden und sie ins Herz der Hauptzielgruppe, zu den Hamburger Landungsbrücken, schippern. Dort können sich Stammurlauber und Neugierige mit einem attraktiven Programm und Ausstellungen über die Insel Föhr informieren.
Mein Plan ist eigentlich fix und fertig, nur die Kunden wissen noch nichts davon.
Ich habe eine Liste mit genau 241 Adressen auf der Insel, was bedeutet, ich muss 241 Leute einzeln aufsuchen und sie für mein Projekt begeistern. Wenn ich fünf am Tag schaffe, wären das 48 Tage, das ist eine Menge. Erst wenn ich das hinter mir habe, verdiene ich Geld – im besten Fall. Ich brauche vor allem die großen Inselbetriebe und Hotels, die W. D. R.-Reederei (das heißt «Wyker Dampfschiffsreederei») und nicht zuletzt das «Museum Kunst der Westküste». Aber erst einmal will ich klein anfangen, um die Stimmung für das Arche-Projekt auszuloten. Dazu ist die Hilfe von Landwirt Hauke Hansen nötig, mit dem ich zufällig mal einen Abend an einem Tresen verbracht habe, zusammen mit Brar von den Seevögeln.
Hauke hat nur heute, am Sonntag, Zeit. Da ich Jade in der Nähe abholen soll, kann ich das mit dem Besuch bei ihm verbinden.
Nach einem kleinen Frühstück setze ich mich aufs Rennrad. Die Temperatur an diesem Sonntagmorgen wechselt je nach Sonne und Wolkenfeldern jeweils um mehrere Grad. Der Wind kommt vom Meer; er frischt immer wieder in Böen auf. Ich habe
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