Ein Strandkorb für Oma
«Wir sind kein Altersheim, sterben kannst du auch woanders.» Ich beschwerte mich heftig über den Spruch. Aber Oma ignorierte das Gelaber der Typen einfach, stellte ihre Augen auf irgendetwas zwischen Melancholie und Trauer. Und konterte mit einer ebenso dicken Ansage: «Ihr habt ja recht, Jungs. Aber vor fünfzig Jahren war ich Striptease-Tänzerin in genau diesem Laden. Jetzt habe ich noch vier Wochen zu leben, da wollte ich ein letztes Mal sehen, was aus dem Club geworden ist. Wäre das möglich? Ich sterbe auch nicht bei euch, versprochen!»
Da wurden die harten Kiez-Kerle weich, und die Tür öffnete sich.
In den Kellerräumen war es so eng, dass man sich nur auf Tuchfühlung bewegen konnte. Die Gäste reagierten befremdet. Was machte die Alte hier? Oma besetzte den einzigen Platz, den man Irrläufern wie ihr zubilligte, den Barhocker. Doch sie beließ es nicht beim Beobachten, sprang irgendwann auf, riss die Arme hoch und tanzte. Da gab es niemanden im Raum mehr, der sich nicht in sie verliebte.
Das ist allerdings schon etwas her.
Ich bemerke, dass ich Oma gegenüber misstrauisch werde und anfange, alles an ihr in Hinsicht auf möglichen Verfall zu interpretieren: Reagiert sie schnell genug auf das, was ich sage? Ergibt das, was sie erzählt, Sinn?
Plötzlich rasen drei unternehmungslustige schwarze Cocker-Spaniel auf uns zu, einer der Hunde springt mit wedelndem Schwanz an meinem Bein hoch. Kein Mensch weit und breit, zu dem sie gehören könnten.
«Deine?», frage ich so neutral wie möglich.
«Ja», sagt sie geistesabwesend.
«Um Gottes willen!»
Nicht auch noch drei Hunde!
Oma schaut mich empört an: «Wieso?» Dann gibt sie Entwarnung: «Sie gehören Walter Behnke, er hatte keine Zeit zum Gassigehen.»
Ihr Hausarzt.
Ich sollte aufhören, aufgrund von Gerüchten irgendeine Diagnose über Oma stellen zu wollen! Wenn sie jünger wäre, würde ich mir gar keine Sorgen über ihren Zustand machen, dann wäre sie halt gerade «voll im Stress». Ich will ihr nicht misstrauen, nur weil sie alt ist.
Nein, ich werde so ehrlich zu Oma sein wie immer, dann wird sich alles klären, auch der Diebstahl im Museum.
«Wo steckt Jade?», erkundige ich mich. Ich hatte doch mit ihr verabredet, dass wir von hier aus eine Radtour über die Insel machen.
«Sie wollte nachkommen.»
Die schwarzen Cocker-Spaniel jagen sich gegenseitig mit hängenden Zungen über die Felder.
«Komm, wir gehen ein bisschen», schlage ich vor. Ich lehne mein Fahrrad an einen Zaun. Oma hakt sich bei mir ein, und wir laufen langsam die schnurgerade, schmale Teerstraße weiter, die am Ende mit dem Horizont verschmilzt. Die schwarzen Cocker-Spaniel rennen immer weiter weg. Obwohl die Landschaft tellerflach daliegt, schaffen sie es, vor unseren Augen zu verschwinden, bis sie eine Minute später wieder aus einem Graben oder knietiefen Halmen hervorschießen.
Oma gähnt herzhaft.
«Müde?», frage ich sie.
«Schlafen kann ich noch genug, wenn ich tot bin», weicht sie mir aus.
Schlafmangel kann einen kirre machen, wer kennt das nicht? Vermutlich ist sie deshalb etwas durcheinander, Oma muss nur mal wieder schlafen. Ihr Hausarzt Dr. Behnke soll ihr ein Mittel verschreiben, dann kommt alles wieder ins Lot.
«Kennst du schon die neusten Gerüchte über dich?», frage ich sie.
Sie verdreht die Augen.
«Will ich gar nicht hören.»
Unterwegs hat Maria mich angerufen und mir weitergegeben, was sie von einem Kollegen auf dem Polizeirevier erfahren hat. Unsere geliebte Oma scheint momentan etwas vergesslich und durcheinander zu sein.
«Ich kann es mir schon denken», blinzelt sie mir zu. «Ich war nachts im Pyjama auf der Straße nach Boldixum unterwegs?»
Genau das hat mir Maria vorhin erzählt.
«Ja.»
Mit Glück ist nichts dran.
«Haben die auch erwähnt, dass ich mich ausgeschlossen hatte?»
«Natürlich nicht.»
Einerseits bin ich erleichtert, dass es eine plausible Erklärung dafür gibt. Andererseits ist die Frage nach dem Bilderklau damit immer noch nicht geklärt.
«Die Haustür unten stand offen und hat im Sturm geklappert, ich konnte deswegen nicht einschlafen. Da bin ich runter und habe sie zugemacht. Blöderweise hat der Wind meine Wohnungstür zugeschlagen.»
«Und wie bist du wieder reingekommen?»
«Lebe ich seitdem auf der Straße, oder was?»
Weicht sie mir aus, oder ist sie beleidigt? Ich nehme sie in den Arm.
«Alles gut, Oma.»
Ihre Augen strahlen: «Mach dir keine Sorgen, mein lieber Sönke.»
Mich darf
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