Ein Stueck vom Himmel
ist eigentlich erstaunlich, wohin man von Rodaun aus zu Fuß überall hinkommt!«
»Ein Stück vom Himmel« war Klettern für mich von Jugend an. Matterhorn und Montblanc waren großartige Bergerlebnisse, aber ein Trichterweg in der Göll-Westwand, ein »Schiefer Tod« am Murfreidturm oder die »Menschenfalle« in der Grohmannspitze-Südwand faszinierten mich mehr.
Ich las viel Alpinliteratur und fand dabei so viele lockende Kletterziele in den Alpen, dass mich die Weltberge überhaupt nicht interessierten.
Natürlich war ich auch ein Kind meiner Zeit – der »alpinen Eisenzeit« – in der das Hinaufschlossern mit Doppelseil und Trittschlingen über viele Überhänge als das »Letzte im Fels« galt. Auch Bohrhaken hatte ich gesetzt bei Erstbegehungen an der Rax. Und das noch mit primitiven Steinbohrern, mit denen das Bohren eines eineinhalb Zentimeter tiefen Hakenlochs gute eineinhalb Stunden dauerte. Aber bald erkannte ich, dass diese Art des Kletterns nur eine Sackgasse ist.
An den kleinen Felsen am Stadtrand von Wien wurde schon um 1880 geklettert. In der Notzeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese Felsen für uns mehr als nur »Kletterschulen«. Wenn wir ein besonders schweres Fünfmeterwandl derpackt hatten, freute uns das ebenso wie das Durchklettern einer Fünfhundertmeterwand. Wir kletterten barfuß, und anstatt ins Magnesiumsackl griffen wir an heißen Tagen vor dem Klettern in den Sand.
Heute ist es stiller geworden um diese Felsen. Heute werden von vielen lieber Hallen aufgesucht, wo an Kunststoffwänden mit Kunststoffgriffen das ganze Jahr – auch wenn es regnet oder schneit – geklettert werden kann.
Ich hab’s auch probiert. Aber das war nix! Ich war es gewohnt, Griffe und Tritte selber zu suchen. Das war kein Klettern, sondern nur ein Turnen. Und Turnen – »Eins, zwei, drei ... Hampelmann hüpft!« – habe ich schon in der Schule überhaupt nicht wollen.
Heute ist das Mäuerl für mich öfter Salz und Pfeffer bei meinen Wienerwaldwanderungen. Denn Fels ist Fels und wer einmal ein Kletterer war, den juckt es manchmal noch immer in den Fingern ...
Das Mäuerl ist eine aus großen Steinquadern errichtete Böschungsmauer an der Wiener Höhenstraße zwischen Cobenzl und Kahlenberg. Am frühen Vormittag fahren auf der Straße noch wenige Autos und das Quergangsklettern an den Quadern ist recht vergnüglich.
Vor einiger Zeit kletterte ich wieder einmal das Mäuerl entlang, als zwei Frauen mit ihren Hunderln daherkamen.
»Schau den alten Trottel an! Da ist ein Gehsteig, da ist eine Straße – und der kräult (klettert) an der Mauer dahin!«, sagte die eine.
»Geh, gehn wir lieber. Bei solchen Narren weiß man nie, was ihnen noch einfällt!«, sagte die andere.
Ich möcht noch möglichst lang ein solcher Narr sein.
DAS LALIDERERWAND-ABENTEUER
Zum Kletterer wurde ich, weil ich was erleben wollte. Mein größtes Abenteuer erlebte ich 1946 in der Lalidererwand. Lois Höferstock (1901–1978) war einmal der »Klettergott« an unseren Kletterschulen (so wurden die kleinen Felsen in Wiens Umgebung genannt). Wieselflink kletterte er dort hinauf, wo wir Jungen gerne hinaufgekommen wären. Tausende Stunden hatte er mit jungen Menschen verbracht, um ihnen beizubringen, wie man das macht. Und außerdem hatte er vielen von ihnen auch noch eine Suppe oder ein Matratzenlager in einer Schutzhütte bezahlt – obwohl er sein ganzes Leben lang ein armer Teufel war.
Er war Hilfsarbeiter und wohnte als Untermieter bei einer alten Frau, die auch für ihn kochte. In einem winzigen fensterlosen Kabinett stand sein Bett, der Aufenthaltsraum war die kleine Küche. Und in dieser kleinen Küche gab es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren jeden Donnerstagabend ein (heute schon unglaublich scheinendes) Treffen von jungen Kletterern.
Man traf sich beim Loisl, um übers Bergsteigen zu reden und zu diskutieren. In der Küche gab es nur zwei Sessel, also hockten wir auf der Kohlenkiste oder auf dem Boden. Es waren recht bunte Vögel, die da beisammen hockten ... unter anderen auch Leo Seitelberger, der gerne solo durch Steilwände kletterte (1938: Dachl-Nordwand im Gesäuse; 1947: Lalidererwand; 1951: zweite Solobegehung der Großen-Zinne-Nordwand), Leo Kozel, der nur von Überhängen schwärmte, und Fritz Moravec (Erstersteiger vom Gasherbrum II im Karakorum), der hohe Berge liebte.
Heute wundert es mich, dass diese Treffen in der Nazizeit nicht der allgegenwärtigen Gestapo verdächtig vorgekommen sind. Denn Lois
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