0099 - Die Lava-Falle
Giorgio Serpione saß am Steuer des alten, klapperigen Jeeps und jagte das Fahrzeug durch die Kurven, als wollte er einen Rekord aufstellen. Die anderen hielten sich lachend und kreischend fest, wenn der Geländewagen durch eine Bodenwelle holperte.
»Giorgio! Wir sind hier nicht auf der Autostrada!« rief Elena, wie Giorgio aus Catania, der Stadt am Fuß des Ätna. »Wir werden uns das Genick brechen, wenn du weiterhin so rast!«
»Keine Sorge«, erwiderte Giorgio, ein feuriger junger Sizilianer, und er lächelte dabei die neben ihm sitzende Pat an. »Ich bin diese Straße auf den Berg schon ein dutzendmal gefahren. Ich kenne hier jeden Stein!«
Er verschwieg, daß er sich vor der blonden Studentin aus Amerika ein wenig hervortun wollte. Pat Willard hatte ihn vom ersten Moment an entzündet. Seither tat Giorgio Serpione alles, um das bildhübsche Mädchen mit den schulterlangen Haaren und den tiefblauen Augen für sich zu gewinnen.
Diese rasende Bergfahrt schien auch das richtige Mittel zu sein. Pat klammerte sich halb ängstlich, halb sensationslüstern an dem Haltegriff am Armaturenbrett fest. Ihr Mund stand halb offen, daß dahinter die perlweißen Zähne schimmerten. Ihre blauen Augen leuchteten, während ihr blondes Haar im Fahrtwind wehte.
Giorgio trat das Gaspedal noch weiter durch. Damit hatte er zuviel des Guten getan. Der Motor begann zu stottern, doch Giorgio bekam die Maschine wieder in den Griff. Weiter bergan ging die wilde Fahrt.
Dabei wäre es für einen von ihnen die letzte Überlebenschance gewesen, hätte der Wagen gestreikt, so daß sie umkehren mußten.
Sie waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe junger Leute aus aller Herren Länder. Vor ein paar Tagen hatten sie einander in Catania getroffen, waren in einem Straßencafé ins Gespräch gekommen und hatten entdeckt, daß sie alle ein gemeinsames Ziel hatten.
Den Ätna zu besteigen!
Und nun waren sie hier, zwei Italiener, eine Amerikanerin, ein Franzose und zwei Engländer. Der altersschwache Jeep ächzte unter der Belastung der sechs Personen.
»War nett von deinem Chef, daß er uns den Wagen überlassen hat«, rief Jean Lerouge.
»Das ist der Vorteil, wenn man in einer Autowerkstatt arbeitet«, gab Giorgio grinsend zurück. Sie fuhren soeben auf einer geraden Strecke, so daß er einen Blick zu Pat riskieren konnte. »Gefällt es dir?«
Sie wandte ihm strahlend das Gesicht zu. »Herrlich, Giorgio!« rief sie begeistert. »Das war eine wunderbare Idee von dir!«
Giorgio grinste in sich hinein. Oben an einem der Krater wollte er sich ein Stück von den anderen absondern und Pat an eine unbeobachtete Stelle lotsen. Mal sehen, ob es außer dem Krater nicht noch andere Attraktionen auf dem Ätna gab. Das Mädchen war aber auch zu hübsch, als daß Giorgio daran vorbeigehen konnte.
»Wie weit ist es noch?« erkundigte sich Frank Fairfax in seiner englisch bedächtigen Art.
»Fünf Minuten«, antwortete Giorgio, der sich in Gedanken viel lieber mit der süßen Studentin aus Massachusetts beschäftigte, als mit den Fragen seiner anderen Begleiter.
»Hör mal!« Lizzy Brook, wie Frank aus London, beugte sich zu dem Fahrer vor. »Ich verstehe genug italienisch und habe verstanden, daß uns dein Chef vor dieser Fahrt gewarnt hat. Warum eigentlich? Es ist doch nicht gefährlich, oder?«
»Der Ätna ist in letzter Zeit ein paarmal ausgebrochen«, gab auch Frank Fairfax zu bedenken.
»Warum seid ihr nicht unten geblieben, wenn ihr Angst habt?« rief Giorgio temperamentvoll. Es ärgerte ihn, daß die beiden Engländer womöglich noch Pat verschreckten und er diese Fahrt umsonst unternahm. Versöhnlicher fuhr er fort: »Die Leute sehen es nicht gern, wenn man ohne Führer hier herauffährt. Die Führer sollen etwas an Besuchern des Berges verdienen, versteht ihr?«
Das leuchtete den anderen ein, so daß sie keine Fragen mehr stellten.
Wie angekündigt, hielt der Jeep fünf Minuten später auf einem provisorisch angelegten Parkplatz. Die ebene Fläche war aus der schwarzen, längst erstarrten Lava herausgesprengt.
»Es ist kalt«, meinte Pat Willard, nachdem sie ausgestiegen waren.
Giorgio legte seinen Arm um die hübsche Siebzehnjährige und drückte sie an sich. »Besser so?« fragte er einschmeichelnd.
Pat nickte und betrachtete die schroffen, abstoßend wirkenden Berghänge. Sie waren mit unterschiedlich geformten, bizarren Steinen übersät.
»Das ist alles Lava«, erklärte Giorgio und spielte sich als großer Bergkenner auf.
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