Gemischte Gefühle
Vorwort
Will man sich die Sympathien eines angloamerikanischen SF-Autors vollends verscherzen, braucht man ihm nur die Frage zu stellen, woher er seine Ideen bezieht. Fragen dieser Art gehören nicht nur zum Standardrepertoire unwissender Berichterstatter von Presse, Funk und Fernsehen, sondern interessieren offenbar auch sehr stark den Durchschnittsleser, der sich zwar von schriftstellerischen Gedankenspielen gern beeindrucken läßt, im Grunde aber nicht so genau dahinterzukommen scheint, wie man überhaupt solche „verrückten Einfälle“ haben kann.
Die Antwort darauf ist kompliziert und einfach zugleich: Die Ideen sind schon da und waren es immer; sie liegen förmlich in der Luft. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht (und dazu ist es nicht einmal nötig, SF-Autor zu sein), kann an einem ganz gewöhnlichen Wochenende mit ein wenig Beobachtungsgabe und der Fähigkeit zur Auswertung politischer oder kultureller Nachrichten mehr Themen finden, als er verarbeiten kann.
SF-Geschichten, die von Leuten zu Papier gebracht werden, die mehr wollen als lediglich den Leser unterhalten, beschäftigen sich nämlich, wenn man genauer hinsieht, nicht unbedingt mit der Zukunft (auch wenn das futuristische Environment vielleicht dagegen spricht), sondern weisen in überspitzter Form auf die Gegenwart hin. Mit anderen Worten: Sie greifen in literarischer Form Auswüchse gegenwärtiger gesellschaftlicher Zustände auf und transponieren sie in eine Zukunft, die nicht einmal allzu fern von uns liegen muß. Muß dabei aber unbedingt alles noch schlimmer aufscheinen, als es ohnehin schon ist?
Wenn dieses Buch den für SF-Verhältnisse eher ungewöhnlichen Titel Gemischte Gefühle trägt, ist das schon so etwas wie eine Antwort. „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos.“ Die Geschichten dieses Bandes behandeln Themen, die uns allen bekannt vorkommen sollten, und beschreiben Dinge, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden, Dinge wie den Sport, das Showbusineß, das Freizeitverhalten, den Wahnsinn moderner Großstädte, Überbevölkerungs- und Umweltverschmutzungsprobleme oder die all dies verwurstenden, aber selten klar analysierenden Medien. Sie behandeln in die Zukunft verlagerte Probleme der Gegenwart und versuchen anhand der Satire die Finger auf Wunden zu legen, die von den Medien in der Regel eher verkleistert werden, bieten einen Blick hinter manche Kulisse und hin und wieder auch eine mögliche Lösung an.
Die in diesem Band versammelten Texte sind teilweise sehr schwarz, aber es wäre sicher falsch, sie pauschal als Endzeitsehnsüchte oder Lust am Untergang zu werten. Das Aufzeigen des täglichen Wahnsinns sollte, so meine ich, beweisen, daß sich zumindest einige Angehörige der jungen SF-Autorengeneration wirklich Gedanken um die Zukunft (und damit auch um das Heute) machen. Und dazu gehören nun einmal Realitäten wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsmangel und institutionalisierte Manipulationsmechanismen, deren Durchschlagskraft ungleich größer ist, als man gemeinhin glaubt. Wer ein Interesse an einer erfreulichen Zukunft hat, sollte nicht vergessen, daß sie nur dann Gestalt annehmen kann, wenn man in der Gegenwart die entsprechenden Weichen stellt.
Ronald M. Hahn
Helmuth Horowitz Willkommen in der Stadt der Angst
Okay, Mann, okay! Nur keine Gewalt! Ich sag dir auch so, wie alles kam, obwohl es eigentlich verdammt schwer zu erklären ist, aber wenn du unbedingt willst …
Also, vorgestern – oder war’s gestern? Fuck it, in dieser miesen Stadt ist jeder Tag so beschissen wie der andere –, vorgestern also hing ich wie jeden Abend an der Theke von Fat Wimpy’s Kneipe und spülte mir literweise Bier durch die Kiemen. Ich kann dir sagen, Mann, ich war schon so voll, daß ich bereits wieder die ersten kleinen grünen Männchen an den Flaschenkorken knabbern und mir zähnebleckend zugrinsen sah, aber wenn du so wie ich im Training bist, dann schert dich das einen Dreck, und ich hatte ohnehin keinen Bock, mit dem Saufen aufzuhören und die nächsten Jahre mit Hallelujagesängen zu verbringen.
Neben mir lehnte Pell Mell an der Wand, und seine Pinschervisage war noch weißer als der Kalk, der ihm in seine fettige Matte rieselte. Nee, ich weiß nicht, wie er richtig hieß, alle nannten ihn Pell Mell, weil er aussah wie ’ne zerquetschte Zigarettenkippe und in seinem Kopf wohl auch nichts anderes drin war.
Pell Mell röchelte wie’n Lungenkranker vor dem Gang über’n Jordan und grinste
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