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Ein Sturer Hund

Titel: Ein Sturer Hund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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kümmern. Weshalb er sich entspannte, die Zeitung auseinanderfaltete, Politik und Kultur nur kurz streifte, eigentlich mit Verachtung links liegen ließ, das Fernsehprogramm überflog und sich dann dem Sportteil zuwandte, der ihm als einziger wert schien, die Schlagzeilen zu durchbrechen und im Detail von Minuten und Metern die eine oder andere Erkenntnis zu finden.
    Doch lange hielt dieser Zustand inneren Friedens nicht an. Denn als Mortensen über den Zeitungsrand hinweg zur Ausleihe sah, erkannte er am Ende der ersten Reihe die schlanke Gestalt des großgewachsenen jungen Mannes. Als er im Armwinkel des Mannes einen Stoß aus mehreren, höchstwahrscheinlich drei Büchern feststellte, wobei auch diesmal der zitronengelbe Einband von Bruchlandung herüberleuchtete, erschrak er wieder freudig. Minutenlang beobachtete Mortensen, wie der Mann näher zur Theke rückte, schließlich an die Reihe kam, den kleinen Stapel auf der Platte ablegte, einen Büchereiausweis aus der Brusttasche seines dunkelblauen Jacketts zog und nach einer Weile mit den Büchern hinüber zur Garderobe marschierte. In diese jedoch nicht gleich eintrat, sondern ebenfalls nach einer Zeitung griff, sich an einen Tisch setzte, die Bücher darauf deponierte und die Zeitung auf seinen übereinandergeschlagenen Beinen ausbreitete. Es handelte sich um die Süddeutsche Zeitung .
    »Gott, dieses Revolverblatt«, dachte Mortensen, der aber so gut wie jede mit einem Feuilletonteil ausgestattete Zeitung für ein Revolverblatt hielt. Eine Ansicht, die er auch schon vertreten hatte, als noch keines seiner Bücher erschienen war, um dann von eben diesen Revolverblättern ignoriert zu werden. Das Revolverhafte bestand für ihn in der wortgewaltigen Schießwut der Journalisten, ihrer Selbstherrlichkeit, mit der sie über Gott und die Welt, den Sport und die Literatur herzogen und mit der sie sich selbst in Szene setzten. Ja, hinter der Schießwut der Journalisten verschwand das eigentliche Thema. Das Thema war wie die Zielscheibe, die – von unzähligen Projektilen durchlöchert – gar nicht mehr existierte, pulverisiert worden war oder bloß noch als unförmiger Fetzen herabhing. Im Journalismus löste sich alles und jedes auf. Fand Mortensen.
    Was ihn in diesem Moment jedoch weit mehr interessierte, war die Frage nach dem dritten Buch. Es lag nun obenauf. Unverkennbar grasgrün. Aber natürlich gab es mehrere Werke der Literatur, deren Einbände grasgrün waren. Mortensen wollte völlig sicher gehen. Er hängte die Zeitung zurück auf die dafür vorgesehene Metallstange und schritt auf die Garderobe zu. Dabei kam er dem Fremden so nahe, daß er die Linie weißer Haut sehen konnte, die den seitlichen Scheitel bildete. Das nur nebenbei. Wesentlich war für Mortensen der Umstand, daß er nun sicher sein konnte, daß sich dieser Mann alle drei Bücher ausgeliehen hatte. Auf dem grasgrünen Einband war eine für Lottoziehungen typische Kugel zu sehen, welche die Zahl fünfundzwanzig trug. Wie auch im Falle der Kokosnuß von Bruchlandung war die obere Polkappe abgetrennt worden. Aus dem Inneren ragte – vom Scheitel bis zur Oberlippe – der Schädel eines Mannes, Mortensens Schädel. Um die Kugel und diesen Schädel waren in einem Kreisausschnitt die Buchstaben des Buchtitels gruppiert: Unglück eines Lottospielers .
    Mortensen war für einen Augenblick stehengeblieben, um Haarscheitel, Buchdeckel und auch die Kulturseite der Süddeutschen Zeitung zu betrachten, dann hatte er seinen Weg zur Garderobe fortgesetzt. Er legte sich den dünnen Wollschal um, schlüpfte in seinen Mantel und trat aus dem Gebäude. Blieb dann aber unter dem massiven, von Säulen gestützten Vordach stehen und blickte über die stark befahrene Straße hinüber auf die von Lichtpunkten gegliederte nächtliche Innenstadt. Dabei dachte er: »Schön wie eine Schalttafel.«
    Es hatte zu regnen begonnen. An den oberen Hängen der Stadt würde das Wasser wohl als kurzlebiger Schnee herunterkommen. Nicht aber hier unten im Kessel, wo der Winter sich nur selten als solcher gebärdete.
    Um die Treppe zur U-Bahn zu erreichen, hätte sich Mortensen kaum mehr als zwanzig Meter im Freien bewegen müssen. Dennoch scheute er es, in den Regen zu treten. Er war ohne Schirm. Weshalb er sich jetzt gegen eine der Säulen lehnte, eine Zigarette anzündete und den stockenden Verkehr betrachtete, der den Platz vor der Bücherei kanalartig abgrenzte. Hinter sich spürte er die Personen, die in rascher Folge das

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