Ein Sturer Hund
hatte sein eigentliches Schriftstellerleben begründet. Denn bis zu diesem Moment war ihm weder die Zeit noch die Kraft zur Verfügung gestanden, um über einige Kurzgeschichten hinauszufinden. Doch mit dem Tod Paulas und in der Folge mit dem Grundstücksverkauf hatte sich Mortensen geradezu gezwungen gesehen, in das Romanschreiben und in die Ganztagskunst hinüberzugleiten. Nicht, um irgend etwas zu bewältigen. Sondern da ihm jede andere Entscheidung als eine Ignoranz gegenüber dem Schicksal erschienen wäre. Eine Sichtweise, die allerdings auch dazu führte, daß ihm hin und wieder der Gedanke kam, er hätte dieses Schicksal unbewußt herbeigewünscht. Nicht, daß er etwas für den Tod seiner Frau konnte. Weder hatte er den Absturz einer Boeing 767-300 verschuldet, noch war er mit Absicht zwei Tage vor dem Abflug erkrankt, so daß eine Freundin Paulas seinen Platz eingenommen und die Reise nach Thailand angetreten hatte, um dann bei ihrem Rückflug Opfer der Katastrophe zu werden. Richtig ist allerdings, daß Mortensens Krankheit eine eingebildete gewesen war und die angebliche Darmgrippe sich in dem Moment rapide in Luft aufgelöst hatte, da die Freundin, eine gewisse Elda Kull, sich bereit erklärte, einzuspringen. Weshalb Moritz an diesem letzten Tag, den er mit seiner Frau zusammen gewesen war, ein Weiterbestehen der Krankheit vorgetäuscht und ein ganz abscheuliches Darmgrippentheater zum besten gegeben hatte.
Noch heute fragte er sich, ob er nicht doch das Unglück vorausgesehen hatte, ob also die imaginäre Infektion weniger als ein Ausdruck seiner latenten Flugangst gelten mußte denn als eine Folge seiner seherischen Fähigkeiten. Wobei Mortensen mit okkulten Praktiken oder einer esoterischen Weltsicht so gut wie nichts am Hut hatte. Trotzdem quälte ihn der Verdacht, daß er sich selbst gerettet, jedoch Paula in den Tod habe gehen lassen. Wie auch Frau Kull. So gesehen war er der Mörder Frau Kulls. Zu alldem gehörte dann auch freilich die unglaubliche Annahme, er hätte zu diesem Zeitpunkt die Wertsteigerung der beiden bis dahin belanglosen Liegenschaften geahnt.
Mortensen hielt eine solche Deutung für absurd, eigentlich krankhaft. Konnte aber nicht anders, als sich immer wieder vorzustellen, daß sein Überleben kein Zufall gewesen war. So wenig wie der Tod seiner Frau. Dabei hatte er Paula geliebt, auch im letzten gemeinsamen Jahr, dem achten ihrer Ehe. Aber was heißt das schon? So groß die Zuneigung zu Paula sich auch dargestellt haben mochte, seine Liebe zur Schriftstellerei war um nichts geringer gewesen. Besser gesagt: das Verliebtsein in die Vorstellung von einer Existenz, in der die Arbeit an einem Roman dem eigenen Leben eine romanhafte Würde verleihen könnte. – Menschen lieben Menschen, sagte Mortensen. Und sie lieben Kakteen und Zierfische und Erstausgaben und einen Schrank voll von Schuhen. Unentwegt wird eine Liebe um einer anderen willen verraten. Der Begriff ist nichts wert. Jeder Mensch liebt tausend Sachen, eben, weil er so voll von Liebe ist. Er geht geradezu über davon. Darum schluchzen und heulen die Leute ja angesichts diverser Filmszenen. Ihre Rührung ist Ausdruck eines Potentials an Liebe, welches sie kaum noch auf eine vernünftige Weise loszuwerden verstehen.
So sehr er seine Liebe zu Paula zu relativieren versuchte, muß gesagt werden, daß Mortensen das Leben eines treuen Witwers führte, also nie versucht hatte, sich nach einer neuen Partnerin umzusehen. Auch nicht nach einer Bettgeschichte, wofür ihm ohnehin das Format oder was auch immer fehlte. Er pflegte Paulas Grab mit Hingabe, jedoch geringem Geschick. Er konnte es selbst sehen. Die eingesetzten Blumen wollten nicht so richtig gedeihen. Aber sein Bemühen war offensichtlich und wurde von den benachbarten Grabbesuchern mit Wohlwollen registriert.
Man hielt Mortensen für eine tragische Figur. Nicht ganz zu Unrecht. Seine Treue zu der Verstorbenen beruhte viel weniger auf einem Gefühl der Zärtlichkeit oder des Nichtvergessenkönnens als auf dem Umstand ewiger Verzahnung. Eine Verzahnung, die eben deshalb ewig anmutete, da sich Mortensen mittels der Einbildung einer Darmgrippe dem gemeinsamen Tod entzogen hatte. Allerdings war er auch nicht wirklich unglücklich ob dieses Gebundenseins an seinen Witwerstatus. Solcherart ersparte er sich die üblichen Mühen eines alleinstehenden Mannes seines Alters. Sein Umfeld schätzte seine Gattentreue hoch ein, Männer wie Frauen. Für einige Damen besaß diese über
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