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Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)

Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)

Titel: Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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von seinem Roman sechshunderttausend Exemplare verkauft.
    Berlin: Tödliches Ende eines Betriebsausflugs. Fotos und nähere Beschreibung des Busunglücks bei Schönefeld, bei dem dreizehn polnische Passagiere starben. – Seite 2: Protest gegen die neuen Flugrouten über Südwest-Berlin nach dem Bau des neuen Flughafens in Schönefeld. – Seite 3: Kalt ist nur den Zuschauern. Dauerregen beim 37. Berlin-Marathon. – Seite 4: Jugend und Schule: Schüleruniversität der FU zum Thema Klima und Energie. – Rettet die Schleifen und Haken – die Schreibschrift soll erhalten bleiben! – Shell-Jugend-Studie: Voller Sorge und Zuversicht. – Seite 5: Angekommen, aber nicht angenommen: Die strenggläubige islamische Föderation feiert dreißigjähriges Jubiläum und streitet über Integration. – Ferner: Toskana in Brandenburg. – Und: Peter und der Wolfgang Thierse – Thierse nimmt eine CD auf, »Peter und der Wolf«, und spendet die Einnahmen.
    Mit Absicht eine so ausführliche Auflistung der Zeitungsmeldungen, um einmal festzuhalten, was uns gegenwärtig offiziell beschäftigt. Inoffiziell erwarten wir den spanischen Botschafter, und Gerd sucht in den Regalen (»Ein furchtbares Durcheinander!«) nach spanischen Übersetzungen meiner Bücher, findet wenig, meist ins Katalanische. Reicht mir ein Buch »sich aussetzen – das Wort ergreifen«, das man mir zu meinem achtzigsten Geburtstag gemacht hat und in dem auch ein Artikel von der Katalanin Marta Pessarrodona ist, den ich, wie das meiste, was in diesem Buch steht, vergessen hatte. Nun blättere ich darin, Marta sagt, daß sie mich immer in die Biographie Berlins integriere und daß sie 1984 bei uns in der Wohnung in der Friedrichstraße war. Daran bei mir keine Erinnerung. Auch daran nicht, daß sie 1987 noch einmal da war und »Störfall« gelesen habe. Aber dann erzählt sie von unserem Besuch in Barcelona, daß sie uns an den Ort begleitet habe, von wo aus man die Sagrada Família von Gaudí sieht. Und von diesem Blick hängt ja das schöne Bild von Nuria Quevedo in unserem Zimmer.
    Gerd gibt mir ein paar Postsachen, die während unserer Abwesenheit bei Schweizers abgegeben worden waren: Ein Buch von Gerhard Begrich (aus Erfurt), Radius Verlag: »Schönheit gilt es zu schauen«, Untertitel: »Theologie und Poesie«. Darin nebst einer innigen Widmung ein Essay über mich: »Was bleibt. Nachdenken über Christa Wolf«. Überlegungen des Autors aus christlicher Sicht zu verschiedenen Texten von mir, in dem Sinn, daß diese Texte ihnen schon immer geholfen und Hoffnung gegeben hätten.
    Dann noch ein längerer, intensiver Brief von einer Frau aus Berlin, ausgelöst durch »Stadt der Engel«, das sie einen »fesselnden und befreienden« Text nennt. Meine Bücher begleiteten sie weit länger als ihr halbes Leben (das wird mir jetzt oftgeschrieben). Weiter bedankt sie sich, daß ich »in diesem Teil des Landes« geblieben bin, und spricht über das Jahr 1989 als »kurze Zeit des Ausprobierens einer Utopie«. Ich könnte noch länger aus diesem Brief zitieren, der typisch für eine ganze Reihe von Briefen ist, die ich jetzt nach »Stadt der Engel« bekomme. Mehr aus dem Osten – aber keineswegs nur –, mehr Frauen als Männer, mehr ältere als ganz junge Leute. Zeugnisse von Betroffenheit, die meine Zweifel, ob ich dieses Buch so hätte rausgeben sollen, zurückdrängen.
    Die Leserin schickt mir ein Buch von Peter Handke mit: »Versuch über den geglückten Tag. Ein Wintertagtraum«, das ich noch nicht kenne. Als Motto lese ich: »Wintertag: Auf dem Pferd gefriert der Schatten«. Der Satz gefällt mir sehr.
    Honza ruft an, er will wissen, wie man »Jury« betont, er hat am Abend wieder eine Lesung, ist wie ein Brummkreisel unterwegs, sein Buch steht auf der Shortlist für den Buchpreis in Frankfurt, er ist erschöpft, diese ganze Vor-Wartezeit nimmt ihn sehr mit. Ich finde, so etwas sollte man den Autoren nicht zumuten. So sehr würde ich ihm und Annette wünschen, daß er den Preis bekommt.
    Der erwartete spanische Botschafter kommt um zwölf – ein beinahe unscheinbarer, höflicher, bescheidener Mann, der nichts von sich hermacht und Interesse anscheinend nicht nur heuchelt. Er will mich kennenlernen, ehe ich am 4. Oktober in der Botschaft den Ehrendoktor der Madrider Universität entgegennehme. Wir trinken guten Sherry, den Gerd extra für diesen Anlaß besorgt hat. Er will wissen, wie wir uns jetzt, zum zwanzigsten Jahrestag der Wiedervereinigung,

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