Ein Tag im Jahr im neuen Jahrhundert (German Edition)
viel erwartet, aber trotzdem von seinem Wahlrecht Gebrauch machen will. – Iran baut eine zweite Uran-Anlage. – Ein Artikel über die Psychologie des Kaufens: Man gebe Geld aus, entweder um etwas zu kaufen oder um etwas zu erleben. – »Freu dich, Erik«: Der Dreizehnjährige aus Kritzkow will Deutschlands mutigster Schüler werden. – Es gibt 1,4 Millionen Wahlberechtigte in Mecklenburg-Vorpommern. 80 000 wählen das erste Mal. – Merkel und Steinbrück beim G20-Gipfel. – Mehr Arbeit, weniger Lohn – was tun? Schiffbauer sollen auf Geld verzichten. – Leserbriefe: Der Einmarsch der Russen in Ostpolen hatte eineVorgeschichte. – Schuß ins Gesicht: Nach Ehestreit eskaliert die Situation auf der Polizeiwache.
Mittags Erbsensuppe, Lieblingsgericht aus Kindheitstagen.
Hingelegt. Wir bestätigen uns gegenseitig, wie müde wir mittags immer sind. Ich schlafe – mit einer Lesepause – bis sechzehn Uhr.
Dann keine Ruhe mehr zur Weiterarbeit an diesem Text. Tee und ein Keks im Fernsehzimmer. Ich lese den »Kultur SPIEGEL « mit Buchempfehlungen, von denen keine mich so richtig verlockt, erst recht nicht, wenn ich Textproben gelesen habe, die mir meistens banal vorkommen.
Um achtzehn Uhr also die ersten Hochrechnungen, die schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Die neue Regierung unter Angela Merkel wird schwarz-gelb sein. Westerwelle wahrscheinlich Außenminister. Die SPD das schlechteste Wahlergebnis seit 1949. CDU 33,4. SPD 22,7. FDP 14,8. Linke 12,5. Grüne 10,6.
Die Piratenpartei, zu der unsere Enkelsöhne tendierten, bekam 2 %.
Dann natürlich die üblichen Jubelorgien bei den Gewinnern, bei den Verlierern das Versprechen, die Gründe für den miesen Wahlausgang zu analysieren, Interviews mit Wählern und mit Parteileuten, auch den »Spitzen«. Auf Spekulationen über Personalveränderungen will man sich noch nicht einlassen.
In Brandenburg ist Platzeck wieder Gewinner, die SPD hat nicht verloren, die Linke zweitstärkste Partei, weit vor der CDU .
Der Abend ist gelaufen.
Annette ruft an: Na, was sagt du? Großer Mist, wie? – Sie hatte gesagt, die Linke könnte sie niemals wählen, wegen der alten Kader, die immer noch drin seien, aber sie verzeiht es uns – bei »unserer Vergangenheit«.
Wir hatten uns vorgenommen, eine Margarita zu trinken – egal, wie die Wahl ausgehen würde. Das tun wir nun, dazu Sardellen- und Krabbenschnittchen.
Tinka ruft an: Scheiße mit Reis, sagt sie. Wir sagen, was dazu zu sagen ist. Wegen meines Hustens gibt sie ein Rezept von Seidel weiter, der ja Arzt ist: Täglich fünf Tassen Salbeitee mit Honig.
Wir sehen uns einen Krimi an, den wir schon kennen (»Der doppelte Lott«), ich schlafe mittendrin ein und kann dann noch die Talkrunde bei Anne Will ansehen, während Gerd schon ins Bett geht, nicht, ohne mir vorher meinen Kompressionsstrumpf auszuziehen. Er muß immer mehr Pflegeeigenschaften entwickeln – zu meinem Kummer.
In der Runde sind die alten Hasen der jeweiligen Parteien zusammengekommen, die vernünftig argumentieren: Baum von der FDP , Frau Süßmuth von der CDU , Egon Bahr von der SPD . Der sagt, die SPD müsse und werde sich jetzt erneuern, jawohl, sie bleibe eine Volkspartei, da sie für alle Schichten des Volkes ein Angebot habe. Jetzt müsse sie sich vor allem auf einen Kampf um Gerechtigkeit gefaßt machen. – Er ist erstaunlich fit mit seinen siebenundachtzig Jahren. Nein, auf die Linke könne man nicht zugehen, solange sie in der Außenpolitik nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, Austritt aus der NATO verlange und Ähnliches. Wie er auf diese Weise einen »linken Block« – links von der Mitte – erreichen will, weiß ich nicht.
Ins Bett, kurz vor zwölf. Während ich mich ausziehe, fällt mir wieder ein Phänomen auf, das mir erst vor einigen Wochen bewußt geworden ist – seit ich bei Oliver Sacks gelesen habe, daß gar nicht so wenige Menschen von musikalischen Halluzinationen betroffen sind: Das heißt, sie hören mehr oder weniger laut und ganz unwillkürlich andauernd Musik.Das kann zu einer wirklichen Plage führen. Dabei fiel mir ein, daß ich mich, wenn ich in mich hineinhöre, auch eigentlich jedesmal bei einem Lied ertappe, das, sehr leise, in mir gesungen wird. Oft, im Auto oder wenn ich draußen sitze, summe ich es vor mich hin, Tinka hat mich schon darauf aufmerksam gemacht. (Jetzt zum Beispiel ertappe ich mich bei der Melodie zu der Strophe: Ich möcht' am liebsten sterben, da wär's
Weitere Kostenlose Bücher