Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
Restutus.»
Antonio räusperte sich und antwortete mit dem seltsam kehligen Tonfall eines Jungen, der sich im Stimmbruch befindet. «Seid Ihr allein, Schwester?»
Fidelma nickte.
«Im Augenblick sind nur wenige Leute in den Katakomben, und mein Großvater Salvatore ist auch nicht da, um Euch zu führen. Es ist gefährlich, wenn Ihr den Weg nicht kennt.»
Fidelma wußte die Besorgnis des Jungen zu schätzen, vor allem, wenn sie an ihr Abenteuer vom Vortag dachte.
«Ich muß alleine gehen. Kannst du mir sagen, wie ich das Grabmal finde?»
Der Junge sah sie zögernd an, dann zuckte er die Achseln. «Also, gut. Versucht, Euch meine Anweisungen ganz genau einzuprägen. Am Fuß der Treppe nehmt Ihr den Gang, der nach links führt, und folgt ihm etwa hundert Meter. Dann wendet Ihr Euch nach rechts und steigt die Stufen zum nächsttieferen Stockwerk hinab. Anschließend geht Ihr geradeaus an einem großen Grabmal mit einem Bildnis unseres Herrn vorbei. Zweihundert Meter von dort biegt Ihr links ab, bis Ihr zu einer weiteren Treppe kommt. Auf dieser gelangt Ihr zum Grabmal der Aurelia Restutus.»
Mit geschlossenen Augen wiederholte Fidelma Antonios Anweisungen. Der Junge nickte ernst.
«Diesmal nehme ich aber zwei Kerzen mit», sagte Fidelma grinsend.
Der Junge schüttelte den Kopf, holte eine kleine, mit Öl gefüllte Tonlampe und zündete sie an. «Nehmt die und zwei Kerzen, Schwester, dann seid Ihr doppelt abgesichert. Habt Ihr Zunder und Feuerstein dabei, falls Euch die Flamme ausgeht?»
Nach den Erlebnissen des Vortags hatte sich Fidelma für den Notfall mit einer Zunderbüchse ausgestattet. Sie klopfte auf ihr marsupium und nickte. Dann kramte sie einige Münzen heraus und warf sie lächelnd in seinen Korb. «In meiner Sprache, Antonio, sagen wir cabhair ó Dhia agat . Gottes Fürsorge sei mit Dir!»
Sie war schon auf der Treppe zu den dunklen Gewölben, als der Junge ihr nachrief: « Benigne, dicis, Schwester.»
Fidelma blieb stehen und winkte noch einmal zurück, ehe sie in der Dunkelheit verschwand.
Schon jetzt war sie froh über die Lampe in ihrer Hand und die zusätzlichen Kerzen in ihrem marsupium.
Während sie immer tiefer ins Innere der weitläufigen Katakomben vordrang, wiederholte sie in Gedanken immer wieder Antonios Anweisungen. Ab und zu hörte sie wie aus weiter Ferne die Stimmen anderer Besucher oder an diesem Ort unschickliches Gelächter, ohne jedoch auf ihrem Weg irgend jemandem zu begegnen. Ganz allein ging sie vorsichtig weiter, stieg in das nächsttiefere Stockwerk hinab und wandte sich nach rechts und links, wie der Junge es ihr beschrieben hatte.
Schließlich kam sie zu einer großen, in den Stein gehauenen, etwa drei Meter hohen und zwei Meter breiten Höhle, deren gewölbte Decke nicht aus Mauerwerk, sondern aus vulkanischem Gestein bestand. Auf beiden Seiten hatte man mehrere loculi oder Nischen für die Toten in den Tuff geschlagen. Sie waren unterschiedlich groß und zum Teil mit Marmorplatten mit gemalten oder eingravierten Inschriften und christlichen Emblemen verschlossen.
Mit erhobener Lampe studierte Fidelma die verschiedenen Platten, bis ihr Blick auf ein Grabmal fiel, das größer und prachtvoller verziert war als alle anderen. Die schlichte Inschrift war in lateinischen Buchstaben eingraviert:
DOMUS AETERNALIS
AURELIA RESTUTUS
DEUS CUM SPIRITUM TUUM
BASIN DEO
Das ewige Haus von
Aurelia Restutus
Gott sei mit deinem Geist
Mögest du leben in Gott
Fidelma seufzte erleichtert auf. Zumindest hatte sie das richtige Grabmal gefunden. Sie fragte sich, wer wohl Aurelia Restutus gewesen war und womit diese Frau sich ein so prächtiges Grabmal verdient hatte. In den Marmor waren Friedenstauben eingemeißelt, darüber befand sich das Chi-Ro-Symbol mit den griechischen Initialen Christi.
Sie stellte ihre Lampe ab und sah sich in der Grabkammer um. Von Ronan Ragallach war nichts zu hören oder zu sehen. Es mußte jetzt kurz nach Mittag sein, denn beim Hinabsteigen hatte sie in der Ferne das Läuten zum Mittagsangelus gehört. Doch sie ging davon aus, daß Ronan, selbst wenn sie sich verspätet hatte, eine ganze Weile auf sie warten würde.
Fidelma preßte die Lippen zusammen und unterdrückte ein ungeduldiges Seufzen. Auch wenn man in ihrer Ausbildung viel Wert auf Kontemplation gelegt hatte, konnte Fidelma untätiges Warten nur schwer ertragen. In dieser Hinsicht hatte sie sich nicht als vorbildliche Novizin erwiesen.
Es verstrichen einige Minuten, die
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