Ein unbeschreibliches Gefuehl
verändern. Positiv gewendet: Adorno und seine Kollegen wollten die Grundlagen für eine gerechtere Gesellschaft erforschen, in welcher der Einzelne nicht auf seinen materiellen Tauschwert als Arbeitskraft und Konsument reduziert sein sollte.
Die Denker der Frankfurter Schule begriffen sich selbst als Entzauberer der Aufklärung, die Immanuel Kant vollendet hatte. Sie stellten nämlich fest, dass die Aufklärung aus der Vernunft einen neuen Mythos gemacht und sie gerade dadurch ihrer emanzipatorischen Kraft beraubt habe. Vor der Aufklärung, so sagten sie, war der Mensch der Natur unterworfen, weil er in ihr Zaubermächte am Werk sah. Mit dem Siegeszug der Vernunft unterwarf der Mensch sich die entzauberte Natur. Das jedoch hatte einen unbeabsichtigten Begleiteffekt: In seinem Bestreben, den eigenen Selbsterhalt möglichst gründlich zu sichern, musste der Mensch zwangsläufig gleich auch die Mitmenschen und sich selbst mit unterwerfen. »Mit der Versachlichung des Geistes wurden die Beziehungen der Menschen selber verhext, auch die jedes Einzelnen zu sich«, heißt es im Schlüsselwerk der Frankfurter Schule, der »Dialektik der Aufklärung«. Diese Essay-Sammlung Adornos und Horkheimers, an der auch Adornos Frau Gretel mitgewirkt hatte, war 1944 bis 1947 in den USA entstanden – dorthin waren die Forscher während des Nationalsozialismus emigriert.
Die »Dialektik der Aufklärung« erschien 1947 in Amsterdam. Drei Jahre später brachte Adorno seine »Minima Moralia« heraus – nun wieder in Frankfurt, wohin er 1949 gemeinsam mit Horkheimer zurückgekehrt war. Der Untertitel dieses Werkes lautet: »Reflexionen aus dem beschädigten Leben«. In Aphorismen und Reflexionen zeigt Adorno darin, dass es in einer unmenschlichen Gesellschaft unmöglich ist, ein gutes, ein »richtiges« Leben zu führen. »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«, lautet die berühmte, oft persiflierte Aussage. Gemeint ist: Nicht nur im Nationalsozialismus, sondern auch in einer Gesellschaft, in der alles zur Ware geworden und somit käuflich, austauschbar und entwertet ist, kann der Einzelne nicht nach anderen, richtigen Grundsätzen leben.
Und das betrifft nun auch die Liebe. Von ihr sagt Adorno in Aphorismus 107, dass »das Tauschverhältnis … sie ganz aufgesogen« habe. Wer liebt, sagt Adorno, der betrachtet sich selbst und den geliebten Menschen nur noch als Ware, der prüft sich und den anderen folglich auf den jeweiligen Warenwert. Die Folge: Menschen werden konsumiert und dann durch andere ersetzt. Dies geschieht im Namen eines Spontaneitätsgebots, das nur vermeintlich human und freiheitlich ist, in Wahrheit aber das Gegenteil bedeutet. In Aphorismus 110 der »Minima Moralia« heißt es dazu: »Überall besteht die bürgerliche Gesellschaft auf der Anstrengung des Willens; nur die Liebe soll unwillkürlich sein, reine Unmittelbarkeit des Gefühls … Aber indem sie das Wahre unvermittelt im allgemeinen Unwahren aufrichtet, verkehrt sie jenes in dieses.« Auch die Liebe ist heute dem Diktat der Ökonomie und des Verbrauchens unterworfen.
Wie aber entzieht man sich diesem Diktat? Adorno sagt: durch Treue, verstanden als Widerstand gegen die Ökonomisierung der Liebe. »Lieben heißt fähig sein, die Unmittelbarkeit sich nicht verkümmern zu lassen vom allgegenwärtigen Druck der Vermittlung, von der Ökonomie, und in solcher Treue wird sie vermittelt in sich selber, hartnäckiger Gegendruck … Jene aber, die, unterm Schein der unreflektierten Spontaneität und stolz auf die vorgebliche Aufrichtigkeit, sich ganz und gar dem überlässt, was sie für die Stimme des Herzens hält, und wegläuft, sobald sie jene Stimme nicht mehr zu vernehmen meint, ist in solcher souveränen Unabhängigkeit gerade das Werkzeug der Gesellschaft.«
Die Achtundsechzigerbewegung, die sich auf die Kritische Theorie stützte, sah das bekanntlich anders. Adorno hatte gesagt: »Der Befehl zur Treue, den die Gesellschaft erteilt, ist Mittel zur Unfreiheit, aber nur durch Treue vollbringt Freiheit Insubordination gegen den Befehl der Gesellschaft.« Für die Radikalsten unter den Achtundsechzigern galt dann nur noch der erste Satz, aus dem sie die bekannte Sponti-Schlussfolgerung zogen: »Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.«
Auch Erich Fromm zählt zur ersten Generation der Vertreter der Kritischen Theorie. Fromm begriff sich zeitlebens als Psychoanalytiker und verband seine Kapitalismuskritik mit Vorstellungen von
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