Ein unbeschreibliches Gefuehl
Ende unseres Streifzuges nähern, zeigt sich langsam: Unter dem Blick der Philosophen sind die Liebenden mit ihrem Thema eigentlich niemals allein. Die Liebe, so scheint es, lässt sich nicht isoliert betrachten, sondern immer nur im Zusammenhang von Weltanschauungen und menschlichem Selbstverständnis. In der Antike und im Mittelalter waren es kosmische Kräfte, überweltliche Ideale und ein – über der Welt oder tief im menschlichen Herzen verorteter – Gott gewesen, die dem Nachdenken über die Liebe den jeweiligen Rahmen und damit auch Maßstab setzten. In der Neuzeit dann wurde etwa danach gefragt, welchen Werten die Liebenden folgen und welchen Kräften – nicht zuletzt aus ihrem eigenen Inneren – sie ausgesetzt sind. Dabei waren zwei Dinge zunehmend in den Vordergrund getreten: die Gesellschaft und die Kommunikation.
Um beides geht es nun auch bei Niklas Luhmann, dem Mitbegründer der soziologischen Systemtheorie. Im Werk des 1998 verstorbenen Bielefelder Soziologen und Philosophen ist der Begriff des Systems allgegenwärtig. Auch ein Liebespaar ist für ihn ein System. Um das zu begreifen, muss man Luhmanns Systembegriff verstehen. Ein System ist ganz klassisch ein Gebilde, dessen einzelne Bestandteile wechselseitig aufeinander einwirken. Es erhält sich, indem es sich auf sich selbst bezieht und dadurch von seiner Umwelt abgrenzt. Die ist eben dadurch definiert, dass sie nicht zum System dazugehört. Der Blutkreislauf im menschlichen Körper ist ein solches System. An ihm zeigt sich auch sehr schön: Ein System ist einerseits geschlossen, andererseits unterliegt es durchaus Einflüssen von außen.
Luhmann unterscheidet nun zwischen biologischen, sozialen und psychischen Systemen. Menschen sind für ihn kein System, sondern sie haben Anteil an mehreren Systemtypen: Der Körper ist ein biologisches System, das Bewusstsein ist ein psychisches System. Und auf der sozialen Ebene gehören wir zu verschiedenen Systemen, die alle zusammen die Gesellschaft bilden: zu einer Paarbeziehung, zu einer Familie, einem Kollegenkreis, einer wirtschaftlichen Gruppe, einer politischen Gruppe, einer weltanschaulichen Gruppe und so weiter. Soziale Systeme entstehen, sobald zwei Elemente interagieren. Wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben, dann bildet sich also ein soziales System – genauer: ein Intimsystem, das die Vorform zum Sozialsystem Familie darstellt. Als »wir zwei« grenzt sich das System des Liebespaares von der Umwelt (»alle anderen«) ab.
Jedes System hat nun seine eigene Art der Tätigkeit (Luhmann sagt dazu: Operation), mit der es sich bildet und erhält. Diese Operationen finden autopoietisch statt, das bedeutet: selbstherstellend und nicht von außen verursacht oder erhalten. Psychische Systeme operieren durch Bewusstseinsprozesse wie Denken, Fühlen, Wahrnehmen. Biologische Systeme operieren, indem sie leben. Auf welche Art aber operieren soziale Systeme? Luhmann sagt: Sie operieren durch Kommunikation. Die Kommunikation ist ein Schlüsselbegriff bei ihm. Er definiert sie allerdings völlig anders, als wir das üblicherweise tun, was nach dem eben Gesagten nicht verwunderlich ist. Für Luhmann ist Kommunikation nichts, was Menschen als Subjekte des Geschehens tun. Nicht der Mensch, sondern die Kommunikation selbst ist der Akteur. Indem sie geschieht, bildet sich ein soziales System und existiert fort.
Weiter sagt Luhmann: Auf welche Art ein soziales System existiert beziehungsweise kommuniziert, ist durch sogenannte Codes geregelt. Der Code ist sozusagen die Sprache, in der die jeweilige Kommunikation abläuft. So ist etwa das Sozialsystem Wirtschaft durch den Code »Haben/Nichthaben von Eigentum« geregelt. Politik ist durch den Code »Besitzen/Nichtbesitzen von Macht« geregelt. Und welcher Code regelt nun das Intimsystem Paar? Luhmann sagt: Dieses System bedient sich der Liebe als eines Kommunikationsmittels, dessen Symbolik von allen Beteiligten verstanden wird. Liebe ist also nach Luhmann kein Gefühl, sondern ein Code, der allgemeingültig ist und daher erfolgreiche Kommunikation verspricht. »In diesem Sinne ist das Medium Liebe selbst kein Gefühl, sondern ein Kommunikationscode, nach dessen Regeln man Gefühle ausdrücken, bilden, simulieren, anderen unterstellen, leugnen und sich mit alldem auf die Konsequenzen einstellen kann, die es hat, wenn entsprechende Kommunikationen realisiert werden.«
Allerdings, so kann man jetzt einwenden, ändert sich ja über die Jahrhunderte
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