Ein unerhörtes Angebot
hat.“
Sanft löste Helen sich von ihrer Freundin. „Ich werde nicht bleiben, Anne.“ Die Vorstellung, mit Jason höfliche Konversation betreiben zu müssen, während sie doch wusste, dass ihr unschickliches Angebot auf dem Weg zu ihm war, trieb ihr die Röte ins Gesicht.
Anne strich ihr sanft mit dem Handrücken über die Wange. „Du liebe Güte! Zuerst schienen Sie mir zu blass zu sein, und jetzt sind Sie ganz rot geworden. Ich hoffe, Sie haben sich keine Erkältung zugezogen.“
„Aber nein, Anne, seien Sie unbesorgt. Und ich mache mich besser gleich auf den Weg. Ich habe nur vorbeigeschaut, weil ich zur Bibliothek wollte und hier vorbeikam.“ Eine kleine Lüge, die dadurch Wahrheit werden konnte, dass sie wirklich kurz die Bibliothek besuchte. „Charlotte ist allein daheim, also möchte ich nicht zu lange fortbleiben.“
Als sie aus dem Haus trat, sah Helen Jasons schnittigen Phaeton am Straßenrand stehen und machte sich Vorwürfe, dass sie nicht auf das Gefährt geachtet hatte, als sie angekommen war. Sie verlangsamte ihren Schritt, schaute flüchtig zu dem jungen Reitknecht hinauf, der die Zügel der großartigen Braunen locker in den Händen hielt, und ging dann hastig weiter.
Jason ließ sich noch eine Tasse Tee von Walters einschenken und trat zum Fenster, um einen Blick auf seine Pferde zu werfen. Anne war inzwischen wieder hereingekommen und schenkte ihm ein kokettes Lächeln, das er freundlich erwiderte. Doch dann wurde seine ganze Aufmerksamkeit von einer mädchenhaften Gestalt in Anspruch genommen, die in diesem Moment die Steinstufen vor dem Hauseingang hinuntereilte. Die junge Frau hielt kurz neben seinem Phaeton inne, gerade lange genug, dass Jason sie erkennen konnte. Dann eilte sie weiter.
In Annes Abwesenheit hatte er ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit ihrem Bruder geführt. Sein Besuch heute schien das Eis gebrochen zu haben, nachdem ein halbes Jahrhundert frostiger Beziehungen zwischen ihren Familien ihnen die Gelegenheit genommen hatte, sich näher kennenzulernen. Jason war eine angemessene Zeitspanne geblieben und konnte sich nun verabschieden.
Helen eilte den Bürgersteig entlang und hielt den Kopf gegen den starken Wind gesenkt. Nach einer Weile blieb sie stehen, um sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen, die der Wind aus ihrer Frisur gerissen hatte. Als sie den Blick hob, entdeckte sie Jason Hunters Phaeton einige Yards vor ihr am Straßenrand. Sir Jason lehnte lässig an der glänzenden Karosserie und sah ihr entgegen.
Sie spürte, wie sich ihr Magen vor Aufregung zusammenzog. Anne hatte zweifellos recht – Jason Hunter war trotz seiner lässigen Art und dem windzerzausten dunklen Haar beunruhigend attraktiv.
Sie hatte sich eigentlich vorgenommen, beim nächsten Treffen mit ihm eine makellose und gepflegte Erscheinung zu bieten. Immerhin besaß sie ein paar grundlegende Kenntnisse über die Anwendung von Schminke und wusste ungefähr, wie man den Wangen und Lippen ein wenig mehr Farbe verlieh. Und sie war mit dem Ergebnis recht zufrieden gewesen, als sie neulich ihr Haar mithilfe der Brennschere zu einer wirklich modischen Frisur geformt hatte.
Aber heute sah sie einfach nur unordentlich aus. Ihr einziger Trost war, dass der Wind auch Sir Jasons Frisur ruiniert hatte. Allerdings änderte das nichts an seiner Wirkung auf sie; doch sie schaffte es, auf ihn zuzugehen, ohne ihren Schritt zu beschleunigen.
Er beobachtete sie mit einem leicht amüsierten Lächeln, und Helen ahnte, dass er sich fragte, ob ihr diese unerwartete Begegnung peinlich war – ob sie stehen bleiben und mit ihm sprechen oder nur nicken und weitergehen würde. Allerdings hatte er ihren Brief noch nicht erhalten und wusste daher auch nicht, dass eine Begegnung mit ihm genau das war, was sie herbeiführen wollte. Nur Zeitpunkt und Ort entsprachen nicht dem, was sie sich ausgesucht hätte.
Sie hob entschlossen das Kinn und trat auf ihn zu. „Guten Tag, Sir Jason. Wie geht es Ihnen?“
Jason neigte den Kopf. „Danke, gut. Und Ihnen, Mrs. Marlowe?“
„Danke der Nachfrage, ebenfalls gut.“
„Das Wetter ist recht angenehm für die Jahreszeit, meinen Sie nicht?“, fügte er mit einem Anflug von Belustigung hinzu und beobachtete, wie sie erneut versuchte, sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen. „Wenn auch ein wenig windig“, fügte er leise hinzu.
Helen stieg die Röte in die Wangen – was in letzter Zeit, im Grunde seit sie Jason wieder begegnet war, viel zu oft
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