Ein Vampir für alle Fälle
Begleitung einer Frau gekommen, wie ich erfreut feststellte. Eine Freude, die sich jedoch gleich wieder trübte, als ich in ihr Tanya Grissom wiedererkannte. Was hatte die denn zurück in diese Stadt getrieben? Und warum stand Calvin überhaupt auf der Gästeliste? Ich hatte zwar nichts gegen ihn, aber wo da eine Verbindung bestehen sollte, war mir schleierhaft.
Während ich mich unter den Gästen nach vertrauten Gesichtern umgesehen hatte, war auch die zweite Braut zu ihrem Bräutigam getreten, und nun mussten sich alle Brautjungfern und Trauzeugen dem Altar zuwenden, um dem Traugottesdienst der Doppelhochzeit zu folgen.
Da mich die Zeremonie in emotionaler Hinsicht nicht besonders in Anspruch nahm, ließ ich meine Gedanken schweifen, während der Episkopalgeistliche Pater Kempten Littrell, der alle vierzehn Tage in die kleine Kirche von Bon Temps kam, die erste Trauung vollzog. Die vielen Lichter, die den Garten erleuchteten, spiegelten sich gleißend in Pater Littrells Brillengläsern und nahmen seinem Gesicht alle Farbe. Es sah fast aus, als wäre er ein Vampir.
Alles verlief mehr oder weniger planmäßig. Junge, war ich froh, dass ich vom Merlotte's her das Herumstehen an der Bar gewöhnt war, denn hier musste ich jede Menge herumstehen, und noch dazu in High Heels. Ich trug nur selten Absätze, und eigentlich nie sieben Zentimeter hohe. Ein seltsames Gefühl, über 1,70 groß zu sein. Ich bemühte mich, nicht herumzuzappeln, und übte mich in Geduld.
Jetzt steckte Glen Portia den Ring an den Finger, und Portia wirkte beinahe hübsch, als sie auf ihre ineinander verschlungenen Hände blickte. Sie war nie meine beste Freundin gewesen und ich auch nicht die ihre, doch ich wünschte ihr nur das Beste. Glen war spindeldürr, sein nicht mehr ganz schwarzes Haar zeigte erste Ansätze von Geheimratsecken, und er trug eine riesige Brille. Wollte man bei einer Casting-Agentur den »typischen Steuerberater« buchen, würden sie einem sicher Glen schicken. Aber eines stand fest: Er liebte Portia, und Portia liebte ihn. Ich hatte es in ihren Gedanken gelesen.
Ich erlaubte mir eine winzig kleine Bewegung und verlagerte mein Gewicht stärker auf das rechte Bein.
Und dann begann Pater Littreil mit der Zeremonie noch einmal von vorn, diesmal für Halleigh und Andy. Es war gar nicht so schwer, immer und immer weiter zu lächeln (das tat ich im Merlotte's schließlich die ganze Zeit), während aus Halleigh eine Mrs Andrew Bellefleur wurde. Und ich hatte noch Glück. Episkopalische Trauungen können elend lang sein, doch die beiden Brautpaare hatten sich für die kürzere Version des Traugottesdienstes entschieden.
Schließlich steigerte sich die Musik zu triumphalen Klängen, und die Frisch vermählten kehrten ins Haus zurück. Die beiden Hochzeitsgruppen folgten ihnen in umgekehrter Reihenfolge. Ich war glücklich auf meinem Weg zurück über den roten Teppich und auch ein wenig stolz. Immerhin hatte ich Halleigh aus einer Notlage geholfen ... und sehr bald schon würde ich endlich diese High Heels loswerden.
Bill fing von seinem Platz aus meinen Blick auf und legte schweigend eine Hand aufs Herz. Eine romantische und völlig unerwartete Geste, und einen Augenblick lang wurde ich ganz wehmütig. Ich lächelte schon fast, auch wenn Selah direkt neben ihm saß. Gerade noch rechtzeitig erinnerte ich mich, dass Bill ein nichtsnutziger Mistkerl war, und so setzte ich meinen schmerzgeplagten Weg fort. Sam stand ein paar Meter hinter der letzten Stuhlreihe, in dem gleichen weißen Smokinghemd, das auch ich getragen hatte, und einer eleganten schwarzen Hose. Völlig entspannt und ungezwungen, das war eben Sam. Sogar sein rotblondes Haar, das ihm wie ein wildgewordener Heiligenschein vom Kopf abstand, passte irgendwie dazu.
Ihm schenkte ich ein aufrichtiges Lächeln, und mit erhobenen Daumen lächelte er zurück. Die Gedanken von Gestaltwandlern sind zwar schwer zu entziffern, doch ich las heraus, dass ihm mein Aussehen und mein gesamtes Auftreten prima gefallen hatten. Der Blick seiner hellblauen Augen war mir die ganze Zeit gefolgt. Seit fünf Jahren war er jetzt schon mein Boss, und meistens kamen wir großartig miteinander aus. Sam war allerdings ziemlich unglücklich gewesen, als ich eine Beziehung mit einem Vampir begann. Doch auch darüber war er schließlich hinweggekommen.
Aber jetzt musste ich zu meinem eigentlichen Job zurück, und zwar pronto. »Wo kann ich mich umziehen?«, fragte ich daher, sobald ich Dana
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