Ein Vampir für alle Fälle
anderes im Kopf, privaten Kram - das ist alles, was ich zu meiner Entschuldigung vorbringen kann. Und ich habe nicht nur die Schwierigkeiten der Vampire ignoriert. Es gab noch ein weiteres brisantes Problem bei den Übernatürlichen, an das ich keinen Gedanken verschwendet habe und das sich als ebenso entscheidend für meine Zukunft erweisen sollte.
In der Nähe von Bon Temps, in Shreveport, gibt es ein Werwolfrudel, in dessen Reihen sich jede Menge Männer und Frauen des Luftwaffenstützpunktes Barksdale tummeln. Im Laufe des letzten Jahres hatten sich innerhalb dieses Werwolfrudels zwei verfeindete Gruppierungen gebildet. In amerikanischer Geschichte hatte ich gelernt, was Abraham Lincoln, die Bibel zitierend, zu Streitigkeiten dieser Art gesagt hatte: Ein Haus, so es mit sich selbst uneins wird, kann's nicht bestehen.
Wie konnte ich nur glauben, dass diese beiden Probleme sich von allein lösen würden? Wie konnte ich verkennen, dass ich selbst in die Lösung hineingezogen werden würde? Tja, da war ich wohl mit beinahe verhängnisvoller Blindheit geschlagen. Aber ich kann eben nicht hellsehen, sondern nur Gedanken lesen. Vampirgedanken allerdings nicht, die sind auch für mich totenstill - echt erholsam übrigens. Und die Gedanken von Werwölfen zu entziffern ist zwar nicht völlig unmöglich, aber schwierig. Das ist meine einzige Entschuldigung dafür, dass ich keinen blassen Schimmer hatte von all den Schwierigkeiten, die sich da um mich herum zusammenbrauten.
Und worüber habe ich mir stattdessen den Kopf zerbrochen? Über Hochzeiten - und meinen verschollenen Freund.
Kapitel 1
Ich stellte gerade die Schnapsflaschen auf dem Klapptisch hinter der improvisierten Bar in einer ordentlichen Reihe auf, als Halleigh Robinson angerannt kam, das sonst so hübsche Gesicht gerötet und verheult. Da sie binnen einer Stunde heiraten sollte und immer noch Jeans und T-Shirt trug, hatte sie sofort meine volle Aufmerksamkeit.
»Sookie!«, rief sie, kam zu mir hinter die Bar und ergriff meinen Arm. »Du musst mir helfen.«
Ich hatte ihr bereits geholfen, schließlich trug ich statt meines schönen Kleides, das ich eigentlich anziehen wollte, meine Barkeeperkluft. »Klar«, sagte ich, weil ich annahm, dass ich Halleigh einen Spezialdrink mixen sollte - okay, hätte ich ihre Gedanken gelesen, wäre mir dieser Fehler nicht passiert. Doch ich wollte mich heute von meiner allerbesten Seite zeigen und hatte wie eine Wilde all meine Schutzbarrieren aufgezogen. Gedanken lesen zu können ist nämlich kein Zuckerschlecken, und schon gar nicht auf einem so wichtigen gesellschaftlichen Ereignis wie dieser Doppelhochzeit. Eigentlich war ich ja als Gast eingeladen. Doch weil die Barkeeperin des Catering-Service auf dem Weg von Shreveport hierher einen Autounfall gebaut hatte, war Sam, der den Job an der Bar zuvor an die Firma E(E)E verloren hatte - die wollten unbedingt einen ihrer eigenen Barkeeper einsetzen -, plötzlich wieder angeheuert worden.
Ich war ein wenig enttäuscht, dass ich nun doch arbeiten musste, aber an ihrem Hochzeitstag durfte man einer Braut nichts abschlagen.
»Was kann ich für dich tun?«, fragte ich also.
»Du musst meine Brautjungfer sein«, sagte Halleigh.
»Aha... was?«
»Tiffany ist plötzlich umgekippt, als Mr Cumberland die ersten Fotos gemacht hat. Sie ist schon auf dem Weg ins Krankenhaus.«
Es war noch eine Stunde Zeit bis zur Trauung, und der Fotograf hatte im Vorfeld schon ein paar Gruppenfotos schießen wollen. Die Brautjungfern und die Trauzeugen waren alle bereits ausstaffiert, und auch Halleigh sollte sich langsam in Schale werfen. Stattdessen stand sie hier in Jeans und mit Lockenwicklern im Haar, ohne Make-up und mit Tränen im Gesicht.
Wer hätte ihr da etwas abschlagen können?
»Du hast genau die richtige Größe«, sagte sie. »Und Tiffany wird wahrscheinlich in diesen Minuten schon der Blinddarm rausgenommen. Probier das Kleid bitte an, ja?«
Ich warf Sam, meinem Boss, einen Blick zu.
Sam lächelte mich an und nickte. »Na los, Sook. Die Bar wird sowieso erst nach der Trauungszeremonie offiziell eröffnet.«
Und so folgte ich Halleigh in die Villa Belle Rive, die der Familie Bellefleur gehörte und seit ihrer Renovierung vor einiger Zeit wieder so etwas wie die Südstaatenpracht alter Zeiten erkennen ließ. Die Parkettböden glänzten, die Harfe neben der Treppe schimmerte golden, und das Silberzeug auf dem großen Sideboard im Esszimmer blitzte, so blank poliert
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