Ein Vampir für jede Jahreszeit
wie ein Lebensgefährte. Sie alle sehnten sich danach und warteten darauf, denjenigen zu treffen. Manchmal dauerte es Jahrhunderte, manchmal sogar noch länger. Manche fanden diesen Gefährten aber auch niemals. Doch wenn es geschah, wenn man die einzige Person fand, gleichgültig ob sterblich oder unsterblich, die man nicht kontrollieren konnte und deren Gedanken man nicht lesen konnte, dann war das der wichtigste Moment im Leben eines Unsterblichen. Denn mit diesem Gefährten würde man den Rest seines langen Lebens teilen. Als sie gestern von Toronto hierhergekommen war, hatte sie mit so etwas nicht gerechnet. Obwohl – eigentlich hätte sie doch eine Ahnung haben müssen. Marguerites erfolgreiche Kuppeleien sprachen sich, zumindest innerhalb der Familie, langsam herum. Man munkelte, dass sie über die gleichen außergewöhnlichen Fähigkeiten verfügte wie einst Katricias Großmutter, das weibliche Familienoberhaupt Alexandria Argeneau. Alexandria hatte bis zu ihrem Tod vor etwa zweitausend Jahren für den Großteil ihrer Kinder und viele andere ihresgleichen Lebenspartner gefunden. Es wurde erzählt, dass sie eine Art sechsten Sinn dafür besessen hatte. Jedes Paar, das sie zusammenführte, wurde zu Lebensgefährten – und bei Marguerite war es nun genauso.
Trotzdem hatte Katricia genau damit nicht gerechnet, als Marguerite sie eingeladen hatte, Weihnachten mit der Familie zu verbringen. Insbesondere, da sie das Angebot aus Gewohnheit höflich aber bestimmt abgelehnt hatte. Hätte sie vorher darüber nachgedacht, hätte sie sich bestimmt darauf eingelassen, nämlich in der Hoffnung, dass Marguerite einen Lebensgefährten für sie gefunden hätte. Doch leider hatte sie nicht nachgedacht, und so war ihre Antwort sehr bestimmt ausgefallen. Katricia mied Familienzusammenkünfte. Eigentlich mied sie alle Arten von Gruppenveranstaltungen. Sie fand es so ermüdend, ständig ihre Gedanken kontrollieren zu müssen, dass sie sich mit der Zeit mehr und mehr zurückgezogen hatte. Besonders Feiertage, an denen sich vor allem die älteren Familienmitglieder trafen, verbrachte sie lieber allein. Ihre Gedanken vor ihnen abzuschirmen, war unmöglich, und Katricia wollte doch nicht, dass einer ihrer Onkel in ihrem Kopf herumspionierte.
Die einzige familiäre Verpflichtung, die sie in den letzten zehn Jahren wahrgenommen hatte, war die große Hochzeit in New York im Februar letzten Jahres gewesen. Da sie in New York lebte und arbeitete, hätte ihre Abwesenheit nur unnötige Fragen aufgeworfen. Doch wie erwartet war die Feier die reine Hölle gewesen. Ihre Gedanken abzuschirmen und gleichzeitig Konversation zu betreiben, war ungefähr so schwierig gewesen, wie einen Purzelbaum zu schlagen und gleichzeitig mit Messern zu jonglieren – schlicht unmöglich. Sie war sich sicher, dass mehrere Verwandte ihre Gedanken mitbekommen hatten, denn einige ihrer Onkel und sogar Marguerite hatten besorgt gewirkt, als sie sich mit ihr unterhalten hatten. Bestimmt hatten sie alle bemerkt, wie düster und deprimierend es in ihrem Kopf aussah.
Katricia musste unwillkürlich lächeln. All die Finsternis und Traurigkeit waren mit einem Schlag vergessen gewesen, als sie Teddy Brunswick auf der Einfahrt entdeckt und ganz automatisch versucht hatte, seine Gedanken zu lesen, um herauszufinden, wer er war und was er hier zu suchen hatte. Doch dann hatte sie feststellen müssen, dass es ihr unmöglich war, in seinen Kopf einzudringen. Das war ein Schock gewesen – und plötzlich sah sie auch die vielen Schwierigkeiten, die sie mit ihrem Last-Minute-Urlaub gehabt hatte, in einem ganz neuen Licht.
Ursprünglich hatte sie vorgehabt, Skiurlaub in Colorado zu machen, doch dann war ihr Flug ärgerlicherweise nach Toronto umgeleitet worden. Katricia hatte stinksauer reagiert. Der Pilot konnte ihr auch keine Erklärung für diese Anweisung liefern, und als sie schließlich in Toronto aus dem Privatflugzeug der Argeneaus stieg, war sie bereits auf hundertachtzig. Auf dem Rollfeld erwartete sie schon ihr Onkel Lucian Argeneau.
Er erklärte die Umleitung des Fluges mit schlechtem Wetter und verfrachtete sie in seinen Wagen. Ihre Frustration hatte einen Höchststand erreicht. Sie saß im Auto und sagte im Kopf Kinderreime vor sich her, damit Onkel Lucian ihre Gedanken nicht lesen konnte, und machte sich gleichzeitig Sorgen, dass sie nun über die ganzen Feiertage bei ihrer Familie festsitzen würde und die Kinderreime wahrscheinlich von früh bis spät
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