Ein verfuehrerischer Tanz
Gangway der Angelica . »Glaub mir, ich lass dich ungern allein hier. Kommt Morland dich abholen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er ist mit Claudia nach Cambridgeshire gefahren. Ich habe Laurent eine Eildepesche geschickt. Er hilft mir, das Cottage winterfest zu machen, und dann kehren wir gemeinsam nach London zurück.«
»Amelia, ich hab mal gesagt, kein Mann sei gut genug für dich, damit war mir ernst. Und ich schließe mich da mit ein. Ich habe es nicht verdient, dass du mir hilfst, aber …« Um seine Lippen zuckte es verräterisch. Amelia war tief gerührt. Alle d’Orsay-Männer machten so ein Gesicht, wenn sie mit den Tränen kämpften. »Ich bin dir so dankbar. Danke, dass du mich liebst, obwohl ich mich wie ein Idiot benommen habe.«
Der Blick in seinen Augen, seine Stimme … ihr Herz verkrampfte sich. Es fehlte nicht viel und sie wäre ihm schluchzend um den Hals gefallen.
Vorsichtshalber trat sie einen Schritt zurück.
»Leb wohl, Jack«, sagte sie. »Du wirst uns fehlen. Und pass gut auf dich auf.«
Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging. Mit jedem Schritt fühlte sie sich ein wenig leichter. Sie hatte es zunächst nicht wahrhaben wollen, und es hatte ihr viel Kummer bereitet, aber jetzt war sie froh darüber, dass sie Spencers Ratschlag beherzigt hatte: Man muss wissen, wann man gehen muss.
»Wo soll ich dich hinbringen?«, fragte Laurent sie in der Kutsche. Sie waren in der Nähe von Charing Cross. »Nach Hause?«
Nach Hause.
Amelia sann über das Wort nach. Welches Zuhause meinte ihr Bruder: das von Spencer oder Winifreds bonbonfarbener Stadtpalast? Hatte sie überhaupt noch ein Zuhause?
»Wenn du nichts dagegen hast, komm ich erst mal mit zu dir.« Ohne Spencer hatte sie kein Zuhause. Er ist jetzt bestimmt in Braxton Hall, dachte sie deprimiert.
»Aber Amelia, bei uns bist du immer willkommen. Winifred gibt heute Abend ein Fest. Ein Glück für mich, dass wir rechtzeitig zurück sind. Sie hätte mir sonst bestimmt den Kopf abgerissen.«
»Ein großes Fest?«, fragte Amelia. Sollte sie ihren Entschluss noch ändern? Nach zwei Tagen in der schaukelnden Kutsche und einer Woche Trübsalblasen schwebte ihr nicht gerade eine Abendgesellschaft vor.
»Nein, nein. Bloß ein paar Leute zum Dinner. Hinterher die eine oder andere Runde Karten, und dann wird ein bisschen getanzt, das Übliche eben.«
Das klang noch halbwegs erträglich. Außerdem knurrte Amelia der Magen. Und was die Abendunterhaltung anging, könnte sie sich mit Migräne entschuldigen und nach oben verschwinden. Es wäre nicht einmal gelogen. Nach dem Gerüttel und Geschüttel der letzten zwei Tage schmerzte ihr Kopf.
»Sag mal? Habe ich mich richtig verhalten?«, fragte sie ihren Bruder bestimmt zum zehnten Mal seit Jacks Abreise mit der Angelica. »Wird er es schaffen?«
»Wenn man das so genau wüsste«, antwortete Laurent und drückte Amelias Hand. »Trotzdem, Amelia, du hast das einzig Richtige getan.«
»Ich habe Gewissensbisse, weil ich ihn in dem Glauben gelassen habe, dass seine Schulden noch nicht beglichen sind.«
»Du weißt genau, dass er sonst nie gefahren wäre.«
»Stimmt.« Sie nagte an ihrer Unterlippe. »Meinst du, es wird schwierig, einen anderen Käufer zu finden?«
»Ich denke nicht. Es ist ein schönes Stück Land, auch wenn das Cottage eher bescheiden ist. Der Earl of Vinterre hat sein Interesse angemeldet. Er plant, das Sommerhaus abzureißen und auf dem Grundstück einen italienischen Palazzo mit Blick auf den Fluss zu bauen.«
»Oh Gott. Mir wird schlecht.«
Laurent reichte ihr eilig die Schüssel. Amelia hatte sich auf der Reise schon mehrmals übergeben müssen. Offenbar konnte ihr ungeborenes Kind längere Kutschfahrten genauso wenig ausstehen wie sie.
Ihr Bruder strich ihr besänftigend über den Rücken.
»Du darfst dich nicht aufregen. Ich finde schon noch einen anderen Käufer.«
»Nein, lass gut sein.« Sie presste ihren Ärmel auf den Mund. »Besser, Briarbank wird abgerissen, als dass eine andere Familie darin wohnt. Verkauf es an Vinterre, so schnell wie möglich.«
Sobald der Vertrag unterzeichnet war, wollte Amelia Jacks Schulden bezahlen. Dann würde sie schleunigst nach Braxton Hall zurückkehren, mit leeren Händen, aber mit einem Herzen voller Liebe. Hoffentlich ließ sich Spencer überzeugen, dass sie ihn nach allem, was geschehen war, immer noch liebte.
Die Kutsche bog gefährlich schaukelnd in den Bryanston Square und kam holpernd vor dem Haus zum Stehen.
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