Ein Versprechen aus Afrika
man sich denken kann.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes...
Frankreich, 1994. Ohne große Begeisterung holte Jean-Michel Chartier die Post aus dem Briefkasten: Rechnungen, Mahnungen, letzte Zahlungsaufforderungen. Er war Handelsvertreter, fünfundzwanzig Jahre alt und nicht gerade vom Glück begünstigt. Sein Schuldenberg nahm zu und er wusste nicht, wie er ihn abtragen sollte. Wie selbstverständlich warf er einen Blick auf den Briefkasten seines Nachbarn Xavier Vermandez, in dem sich die Post staute, ja sogar schon oben herausquoll. Das war nicht verwunderlich, denn im Viertel wusste jeder, dass Monsieur Vermandez, ein zurückhaltender Mann um die fünfzig, zurzeit im Gefängnis saß.
Der letzte Umschlag, der aus dem Briefkasten herausragte, schien von der Bank zu stammen. Die Neugier ist eine tückische Untugend. Aus einem unwiderstehlichen Drang heraus griff Jean-Michel nach diesem Umschlag, der nicht an ihn adressiert war.
Als Jean-Michel in seine Wohnung zurückgekehrt war, öffnete er den Umschlag behutsam, indem er ihn über einen Topf kochenden Wassers hielt. Fast war er enttäuscht. Es war lediglich ein Kontoauszug. Doch die Summe auf der Habenseite brachte ihn zum Träumen: dreihunderttausend Franc (etwa einundfünfzigtausend Euro). Dieses Geld ruhte auf dem Konto eines ganz »gewöhnlichen« Herrn, der sich zurzeit hinter
Gittern befand. Das Geld lag nutzlos herum, würde im Laufe vieler Jahre verschimmeln. Auf dem Konto von Jean-Michel wäre es viel besser aufgehoben gewesen, denn dieser redliche junge Mann hatte ernste Geldprobleme.
Als Chartier im Bett lag, fing er an zu grübeln. Er erinnerte sich an den Sohn von Monsieur Vermandez, einen braunhaarigen jungen Mann, der, genau wie er selbst, mittelgroß war, die gleiche Brille wie er trug und zufällig auch noch den gleichen Vornamen besaß. Da musste sich doch etwas machen lassen.
Am nächsten Morgen arbeitete er an seinem Personalausweis, wandelte seinen Namen in den von Olivier Vermandez um und fertigte eine Fotokopie davon an. Anschließend begab er sich zu einer Bank, um ein Konto zu eröffnen. Es war eine ziemlich große Enttäuschung, als man ihn nach vierundzwanzig Stunden anrief und ihm erklärte, eine Fotokopie sei kein gültiges Dokument. Die Bank wollte das Original sehen, was natürlich ein kleines Problem aufwarf.
Als Chartier im Bett lag, dachte er darüber nach und fand eine Lösung. Am nächsten Morgen blätterte er im Telefonbuch, hob den Hörer ab und rief Jean-Michel Vermandez an: »Monsieur Vermandez? Hier spricht Ihre Bank. Entschuldigen Sie, wir hatten ein Computerproblem und uns fehlen ein paar persönliche Angaben von Ihnen. Könnten Sie uns bitte weiterhelfen?« Der andere, noch im Halbschlaf, fragte arglos: »Was möchten Sie wissen?«
»Es fehlen uns lediglich die Angaben zu Ihrem Geburtsdatum und dem Geburtsort.«
»13. Juli 1969 in Gap.«
»Vielen Dank, und entschuldigen Sie nochmals.«
Nächste Aktion: Chartier verfasste einen freundlichen Brief an das Standesamt in Gap. Er schrieb unter dem Namen Jean-Michel Vermandez und bat um eine Kopie seiner Geburtsurkunde, die er sich an die Adresse von Vermandez senior schicken ließ.
Chartier, der die Post abpasste, bemächtigte sich mühelos des Umschlags vom Bürgermeisteramt von Gap, da dieses Schreiben wiederum aus dem Briefkasten von Vermandez senior herausragte. Im Innern befand sich der kostbare Auszug aus dem Geburtenregister. Mit diesem Dokument brauchte er nur noch beim Bürgermeisteramt in Toulon einen schönen Pass auf den Namen Jean-Michel Vermandez ausstellen zu lassen, den er mit seinem eigenen Foto versah. All das benötigte ein paar Tage, doch gelang es Chartier schließlich, dank dieses Passes ein Bankkonto im Namen von Jean-Michel Vermandez zu eröffnen. Dazu bekam er sogar noch ein Scheckheft. Im Augenblick lagen die dreihunderttausend Franc jedoch noch immer auf dem Konto des rechtmäßigen Besitzers, Vermandez senior, der von allem keine Ahnung hatte. Da Chartier den Bankauszug von Xavier Vermandez entwendet hatte und die entsprechenden Angaben kannte, rief er die Bank an und gab sich als der Vater von Jean-Michel Vermandez zu erkennen, wobei er um ein Kontoeröffnungsformular bat. Dieses Formular, an Vermandez senior adressiert, wurde sogleich zugesandt und wiederum von Chartier aus dem Briefkasten herausgeholt. Der Handelsvertreter kannte nun alle nötigen Angaben des Kontos von Vermandez senior, besaß eine
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