Ein Versprechen aus Afrika
seinem Alter noch so aktiv sein konnte. Trotzdem war er entsetzt. Er wusste nämlich immer noch nicht das Geringste über die Investitionen, und jetzt sollte er Kunden gegenübertreten, die jeden Monat ihre zehn Prozent verlangten! Doch Monsieur René beruhigte ihn sofort: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich stelle Sie meinem Verbindungsmann im Ausland vor.«
So lernte Camille Moreau am 4. Dezember 1986 in einem Hotel in Evian Franz Ferney kennen, einen etwa dreißigjährigen Schweizer. Der Mann war höflich und kam gleich zur Sache.
»Ich schlage vor, dass wir uns jeden Samstag hier treffen. Sie bringen das Geld der vergangenen Woche in bar, ich schaffe es in die Schweiz und kehre am folgenden Montag mit den Zinsen zurück.«
Camille Moreau hoffte, von ihm endlich etwas mehr zu erfahren als von René Degros. Er fragte nach Einzelheiten zu den besagten Investitionen, doch war die Antwort haargenau dieselbe: »Ganz einfach, es handelt sich um Spekulationen auf dem asiatischen Markt und um Geschäfte in Steuerparadiesen.«
So lief alles weiter wie zuvor, nur in noch größerem Maßstab. Camille Moreau hatte jetzt mehrere Angestellte in verschiedenen Städten. Jede Woche brachte er Franz Ferney zwei bis fünf Millionen Franc (300 000 bis 750 000 Euro) in bar, die dieser über die Grenze schmuggelte, um am Montag mit den Zinsen zurückzukehren.
Die Katastrophe stand kurz bevor. Sie rückte sogar bedrohlich näher. Camille Moreau erriet sie, obwohl er nicht daran glauben wollte. Sechs Monate später erwartete ihn im Hotel von Evian niemand mehr. Franz Ferney war verschwunden.
Plötzlich saß Camille Moreau allein mit dem Geld seiner Kunden da. Was blieb ihm anderes übrig, als die geschuldeten Zinsen mit dem frisch eingezahlten Geld zurückzuzahlen? Es war der einzige Weg, den völligen Zusammenbruch zu vermeiden.
Endlich begann Camille Moreau zu verstehen. Die Wunderanlagen auf dem asiatischen Markt und in den Steuerparadiesen hatten nie existiert. René Degros und Franz Ferney hatten nie etwas anderes getan als das, was er nun selbst tat, nämlich die Zinsen mit dem eingezahlten Geld der letzten Kunden zu bezahlen. Dies war jedoch nur möglich, wenn die Einlagen ständig erhöht wurden, sodass eine Katastrophe auf Dauer unvermeidlich war.
Genau das ist ein Schneeball-Betrug. Auf diese Weise kann man viel Geld einstreichen, solange man sich rechtzeitig zurückzieht. Wenn das System kurz vor dem Bankrott steht, muss man nur die ganze Verantwortung irgendeinem Trottel zuschieben, der dann für seine Vorgänger den Kopf hinhält.
Camille Moreau begriff, dass er dieser Trottel war. Weil er keine andere Wahl hatte und den Zusammenbruch möglichst lange hinauszögern wollte, stürzte er sich in einen Teufelskreis und begann eine verzweifelte Flucht nach vorn. Er brauchte Geld, immer mehr Geld, um jetzt bezahlen zu können, selbst wenn er dafür später viel größere Summen zurückerstatten musste. Er beschäftigte achtzehn Werber in ganz Frankreich, die sich als sehr tüchtig erwiesen. Unter ihnen befanden sich Bankangestellte, Beamte und sogar ein Polizeiinspektor.
Camille Moreau fürchtete nicht, dass seine Kunden Anzeige erstatten könnten. Dazu hatten sie sich selbst zu sehr kompromittiert. Das Geld, das sie einzahlten, stammte meist aus Einkünften, von denen das Finanzamt nichts wusste. Außerdem hatten die Mittelspersonen erklärt, dass die Anlagen ins Ausland gingen, um mit Zinsen zurückzukehren. Es handelte sich also um eine illegale Kapitalausfuhr oder zumindest um Anstiftung zu dieser Straftat, da das Geld in Wirklichkeit ja Frankreich nie verließ.
Nein, Camille Moreau fürchtete, sein Handel könne solche Ausmaße annehmen, dass er irgendwann einfach auffallen musste, was dann auch tatsächlich geschah. Am 17. November 1988 schlug die Finanzpolizei zu und verhaftete siebzehn Personen. Darunter befand sich natürlich auch Camille Moreau, sodass in seinem Computer die Kundenliste entdeckt wurde. Eigentlich hätte man gegen alle Beteiligten ein Strafverfahren einleiten müssen. Um jedoch einen Skandal zu vermeiden, beschloss das Gericht, Milde walten zu lassen.
Das Abenteuer war zu Ende. Für manche bedeutete es den Ruin. In der großen Provinzstadt misstrauten sich nun alle. Nur die Banken jubelten. Man hatte sie verachtet, weil sie nur sechs Prozent Zinsen boten, doch kehrten jetzt ihre Kunden zähneknirschend zurück. Während Franz Ferney, der Schweizer Komplize von René Degros, geflohen war
Weitere Kostenlose Bücher