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Ein verwegener Gentleman

Ein verwegener Gentleman

Titel: Ein verwegener Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Brendan
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informierte der Bedienstete seine Herrin mit ausdruckslosem Gesicht, während er hoheitsvoll die Halle durchquerte. Als er an Elizabeth vorbeiging, zwinkerte er ihr unauffällig zu, und sie musste ein Lächeln unterdrücken.
    Harry Pettifer diente den Sampsons bereits seit beinahe drei Jahrzehnten. In den wenigen Jahren, die sie nun bei ihrer Großmutter in diesem ruhigen Teil von Marylebone lebte, hatte Elizabeth schon weit unterhaltsamere Wortwechsel zwischen der zierlichen Sechzigjährigen und ihrem majestätischen Butler erlebt.
    Edwina Sampson runzelte die Stirn. „Für den Lohn, den ich ihm zahle, könnte ich zwei Lakaien engagieren. Oder ein ganzes Jahr lang meinen Schlachter bezahlen.“
    „Das glaube ich nicht, Großmama. Ich bin sicher, das Gehalt des armen Pettifer würde nicht einmal ausreichen, um auch nur deine Ausgaben für Konfekt zu decken“, neckte Elizabeth ihre Großmutter mit einem sprechenden Blick auf ihre beträchtliche Leibesfülle.
    Pettifer gestattete sich ein leichtes, anerkennendes Lächeln, das seiner Herrin nicht entging. „Sei nicht so frech, Miss!“, fuhr sie Elizabeth an, um nach einem Moment einzuräumen: „Vielleicht habe ich eine Schwäche für Marzipan. Aber wieso auch nicht? Eine Frau, die sich die Finger wund gearbeitet hat, hat an ihrem Lebensabend eine kleine Belohnung verdient.“
    Elizabeth zog vorsichtig ihre verdreckten Stiefeletten aus und übergab sie dem jungen Lakaien, den der Butler herbeigewunken hatte, und trippelte auf Strümpfen zur Treppe. „Du weißt sehr gut, wie sehr wir Pettifer brauchen … viel mehr als er uns, fürchte ich. Ich habe gehört, dass Mrs. Penney wieder hinter ihm her ist. Sie will ihn unbedingt für ihr Stadthaus in Brighton abwerben.“
    „Tatsächlich? Wer hat das gesagt?“ Die Großmutter presste verärgert die Lippen zusammen.
    Elizabeth raffte vorsichtig ihre Röcke und lachte. „Ich werde mich nur rasch frisch machen, dann treffen wir uns im Salon und tratschen über Pettifers Popularität. Vielleicht solltest du dich bei ihm lieb Kind machen, sonst ist er dieses Mal wirklich in Versuchung, uns zu verlassen“, stichelte sie über die Schulter hinweg, während sie leichtfüßig die Stufen hinauflief.
    Als sie sich kurz darauf in ihrem nach Lavendel duftenden Schlafgemach befand, nahm sie den Saum ihres strapazierfähigen Kleides noch einmal seufzend in Augenschein und sah dann ihre Zofe an. Josie krauste voller Abscheu ihre kleine, wohlgeformte Nase, schüttelte den Kopf und half ihrer Herrin beim Ablegen.
    Großmama hat recht, dachte Elizabeth, während sie ihr Gesicht mit Rosenwasser betupfte. Es war der Gestank, der am meisten störte. Selbst wenn sie wieder zu Hause war und frische Kleidung trug, hatte sie die üblen Ausdünstungen der Elendsquartiere immer noch in der Nase. Der Ekel erregende Geruch ungewaschener Menschen, verrottenden Abfalls sowie von Fisch und Teer beherrschte das Viertel in der Nähe der Docks. Besonders in der Hitze des gerade zu Ende gegangenen Sommers war er allgegenwärtig.
    Seit über einem Jahr half sie nun jede Woche in der Sonntagsschule. Hugh Clemence und sie eilten jeden Sonntag durch das Labyrinth enger Gassen zur Barrow Road. Sie nahmen stets denselben Weg. Selbst der Geistliche, der von den zerlumpten Gemeindemitgliedern mit einem respektvollen Kopfnicken gegrüßt wurde, hielt sich nie länger als unbedingt nötig in dieser Gegend auf.
    Der menschenfreundliche Besitzer eines Gewürzspeichers hatte ihnen gestattet, eine freie Ecke als Klassenraum zu nutzen. So wurden mehr als zwanzig Straßenkinder davon abgehalten, Diebstähle an den Kais zu begehen, und stattdessen in Gottes Wort unterrichtet. Wenn Elizabeth sonntags in dem Lagerhaus eintraf, drängelten und schubsten die Kinder so erbittert um einen Platz auf der Bank, als würden sie um etwas zu essen kämpfen.
    Elizabeth setzte sich auf den samtbezogenen Schemel an ihren Toilettentisch. Als Josie die Nadeln aus ihrem Haar zog, fiel die lange perlmuttfarbene Mähne ihr den Rücken hinab. Während die Zofe mit der Bürste durch ihre Locken fuhr, schloss Elizabeth die Augen und versuchte sich zu entspannen. Bei dem Gedanken an die Kinder jedoch seufzte sie. Reichte es aus, sie am Tag des Herrn für eine Weile die raue Wirklichkeit vergessen zu lassen?
    „Und wenn durch unser heutiges Werk auch nur ein Kind den verheerenden Auswirkungen eines Ginlokals oder eines Bordells entkommt, werde ich als froher Mann sterben“, hatte Hugh

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