Ein verwegener Gentleman
Clemence ihr einmal seine Philosophie erklärt.
„Wir müssen so viele davor bewahren, wie wir nur können“, hatte sie ihm zur Antwort gegeben, und er hatte ihre Hand ergriffen. Sie hatte es zugelassen … für ein paar Sekunden, dann hatte sie ihm ihre Finger entzogen.
„Ah, das ist schon besser“, lobte Edwina Sampson ihre Enkelin, als Elizabeth in einem rosaroten Crêpekleid den Salon betrat, in dem ein gemütliches Kaminfeuer prasselte. „Jetzt siehst du eher wie meine süße Lizzie aus – und riechst auch so.“ Sie nahm ein Stück Konfekt aus der silbernen Schale neben sich und schob es in ihren Mund. Genüsslich kauend betrachtete sie die junge Frau und fragte: „Hat er sich erklärt?“
Lady Elizabeth Rowe bedachte ihre Großmutter mit einem steifen Blick und sank anmutig in einen Sessel ihr gegenüber. „Nein“, sagte sie in gemessenem Tonfall, „und das wird er auch nicht tun. Hugh ist ein sehr gewissenhafter, freundlicher Gentleman, und ich schätze ihn als guten Freund. Aber er ist sich sehr wohl bewusst, dass ich nicht … so … für ihn empfinde.“
„Gott sei Dank!“, murmelte die Großmutter. „Ich lebe in ständiger Angst, du könntest eines Tages mit einem billigen Verlobungsring nach Hause kommen und verkünden, dass du in irgendein Pfarrhaus mit undichtem Dach in einem gottverlassenen Stadtviertel ziehen wirst.“ Sie drohte ihrer Enkelin spielerisch mit dem Zeigefinger und fügte hinzu: „Das soll nicht heißen, dass ich die Hoffnung aufgegeben habe. Es ist allerhöchste Zeit, dass du endlich heiratest. Du wirst demnächst neunundzwanzig und kannst nicht ewig bei deiner alten Großmutter leben. Ich könnte bald das Zeitliche segnen und möchte vorher die Gewissheit haben, dass du in gesicherten Verhältnissen lebst.“
„Du bist kerngesund und hast sicher noch ein langes Leben vor dir. Und du weißt ganz genau, dass ich keine Ehe eingehen werde. Also“, wechselte sie das Thema, „interessiert es dich nun, zu erfahren, woher ich weiß, dass Mrs. Penney wieder versucht, dir Pettifer abspenstig zu machen?“
„So leicht lasse ich mich nicht ablenken. Ich meine, was ich sage, Elizabeth.“ Edwina schüttelte den Kopf. „Du bist eine schöne Frau und brauchst einen Gemahl. Du kannst dir nicht von einer Tragödie, die sich vor zehn Jahren ereignet hat, deine ganze Zukunft ruinieren lassen. Die Leute haben die Sache längst vergessen.“
„Ich aber nicht! Und ich will keinen Gatten … schon gar keinen Gentleman aus dem ton . Also sprich bitte nicht mehr davon.“
Edwina seufzte leise, während ihre Finger wie von selbst wieder zu der Silberschale wanderten. „Dann erzähl mir, weshalb dieses Tratschweib Alice Penney hinter Pettifer her ist.“
Elizabeth lächelte gewinnend. „Ich nehme an, weil er so attraktiv ist.“
„Unsinn! Er ist ein alter Kerl – ein Jahr älter als ich!“, kam die Antwort aus einem Mund voller Marzipan.
„Aber ein sehr rüstiger, gut aussehender Mann. Wie ich hörte, hat Mrs. Penney sogar mit ihren Freundinnen gewettet, wer ihn dir abwerben kann. Ich glaube, es geht um ziemlich viel Geld.“
„Sie haben gewettet ?“, stieß Edwina hervor. „Wer mir meinen Butler wegnehmen kann? Er ist schon seit beinahe dreißig Jahren bei mir, und er wird bei mir bleiben. Ich … ich werde ihm keine Referenzen geben, falls er mich verlässt.“
„Ich nehme an, er wird keine brauchen“, kicherte Elizabeth. „Ich bin sicher, Mrs. Penney wird ihn auch ohne nehmen.“
Edwina schüttelte ihre ergrauten Löckchen aus dem Gesicht und kniff die Augen zusammen. Ihr Mund zuckte entrüstet, doch dann begannen ihre hellblauen Augen zu leuchten. Eine Wette? Wenn es etwas gab, das Edwina ebenso sehr mochte wie gutes Konfekt, dann war es eine gute Wette. Sie würde schon dafür sorgen, dass diese übermütigen Frauenzimmer etwas für ihren Einsatz tun mussten!
Harry Pettifer war ein Bild von einem Mann, in dessen Adern obendrein blaues Blut floss. Hätte sein Vater, Sir Roger Pettifer, nicht die Familie mit seiner Leidenschaft für riskante Glücksspiele in die Armut getrieben, dann hätte sein jüngster Sohn vielleicht ein Erbe gehabt, das ihm seinen Lebensweg geebnet hätte.
Harry und Edwinas verstorbener Gatte waren Freunde gewesen, obwohl man einst über Harry die Nase gerümpft hatte, weil er sich mit einem Bürgerlichen niederen Standes abgab. Denn Daniel Sampson hatte sich sein beachtliches Vermögen durch Geschäftssinn und harte Arbeit erworben, und
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