Der Effekt - Roman
01
Krankenhaus Pitié-Salpêtrière, Paris
Die Killerin erwachte, neben ihrem Bett standen fremde Personen. Eine intravenöse Injektion leitete Tröpfchen einer klaren Flüssigkeit durch eine lange dicke Nadel in ihren rechten Handrücken. Die Nadel war mit medizinischem Klebeband fixiert, das auf den feinen blonden Härchen auf ihrer Haut klebte. Die Fremden - allesamt Frauen - beugten sich über sie. Ganz offensichtlich machten sie sich große Sorgen um sie. Anstatt ihre Blicke zu erwidern, schaute sie auf ihre Hände, die auf einer dünnen braunen Decke lagen. Sie wirkten sehr kräftig, beinahe männlich. Sie drehte sie um und schaute sie sich genau an. Die Nägel waren kurzgeschnitten, die Knöchel hatten Schwielen aus Hornhaut, ebenso ihre Handflächen und die Seiten. Je mehr sie sich das alles ansah, desto unruhiger wurde sie. Genau wie die Frauen, die sich um sie herum versammelt hatten, waren ihr diese Hände völlig fremd. Sie hatte keine Ahnung, wer sie überhaupt war.
»Cathy? Wie geht es Ihnen?«
»Schwester!«, rief jemand.
Die drei fremden Frauen traten etwas näher an ihr Bett. Es machte sie nervös, aber allem Anschein nach wollten sie nur, dass es ihr gutging.
»Doktor. Sie ist aufgewacht«, sagte eine von ihnen auf Französisch.
Sanfte Hände drückten sie in die Kissen zurück, streichelten sie, als sei sie ein Kind, das einen schlimmen Alptraum
hatte. Cathy? Das war doch nicht ihr richtiger Name. Sie versuchte ruhig zu bleiben, auch wenn es ihr unangenehm war, dass diese Frauen sie berührten. Sie sahen alle ziemlich schräg aus, wie Leute, mit denen sie lieber nichts zu tun haben wollte. In diesem Augenblick fiel es ihr wieder ein: Sie hatte mit diesen Leuten ja auch nichts zu tun.
Sie hatte einen Auftrag. Und ihr Name war nicht Cathy, sondern Caitlin.
Die Frauen trugen billige, dünne Kleider, die für eine warme Umgebung gedacht waren. Caitlin Monroe ließ sich zurück aufs Kissen sinken, um sich von dem aufkommenden Schwindelgefühl zu erholen. Sie lag in einem Krankenhausbett, das trotz des ärmlichen Aussehens ihrer »Freundinnen« so luxuriös ausgestattet war wie das Zimmer eines Privatpatienten. Die Jüngste trug eine braune Wildlederjacke, mit Fransen an den Ärmeln, auf der bunte Protest-Buttons prangten. Eine weiße Taube, ein Regenbogen. Dazu passende Slogans: »Pass auf, Halliburton!«, »Wen würde Jesus zerbomben?« und »Widerstand ist Pflicht«.
Caitlin trank einen Schluck Wasser aus der Flasche, die neben dem Bett stand.
»Entschuldigung«, krächzte sie. »Was ist denn mit mir passiert?«
Eine ältere Rothaarige in einer ausgeleierten, selbst gestrickten Jacke über einem weißen T-Shirt legte eine Hand auf ihr Bein. Celia. »Tante« Celia wurde sie genannt, obwohl sie mit niemandem hier verwandt war. Tante Celia trug dieses seltsame Outfit, damit man die Botschaft auf ihrem T-Shirt gut lesen konnte: »Wer sich nicht empört, hat nicht aufgepasst«.
»Doktor!«, rief die andere ältere Frau, die jetzt zur Tür gegangen war.
Maggie. Eine Amerikanerin, wie Caitlin. Aber da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Maggie, die Amerikanerin,
war klein und untersetzt und fast fünfzig, wohingegen Caitlin groß, athletisch und jung war.
Sie langte unter ihre Decke und fand die Fernbedienung aus Plastik, die zum Bett gehörte.
»Versuch’s mal hiermit«, schlug sie vor und reichte sie der hübschen jungen Französin mit den rabenschwarzen Haaren, von der sie wusste, dass sie Monique hieß. »Drück auf den roten Knopf. Dann kommt jemand.« Dann tastete sie ihren Kopfverband ab und fragte: »Wo bin ich überhaupt?«
»In einem privaten Krankenzimmer im Pitié-Salpêtrière-Krankenhaus in Paris«, erklärte Monique. »Paris in Frankreich«, fügte sie hinzu.
Caitlin lächelte matt. »Okay, ich weiß, dass Paris in Frankreich liegt.« Sie hielt inne. »Also bin ich auch da, nehme ich an. Aber wie bin ich hierhergekommen? Ich erinnere mich nicht an sehr viel, außer, dass ich im Shuttle durch den Tunnel unterm Ärmelkanal gefahren bin.«
Die große Amerikanerin, die an der Tür stand - also Maggie, verdammt nochmal, jetzt merk dir endlich mal ihren Namen! -, drehte sich um und kam wieder herein.
»Faschistenschweine, das war’s. Sie haben uns außerhalb von Calais angegriffen.«
»Skinheads«, erklärte Monique. »Und du warst einfach großartig!«
»War ich das?«
»O ja«, rief die Französin begeistert. Sie sah nicht älter als siebzehn aus, war aber, wie
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